Die zweite Jahreshälfte 2020 hat schon längst begonnen. Ich nutze die Gelegenheit, um die Jahreslosung der Ev. Kirche, die über diesem Jahr 2020 steht, in Erinnerung zu rufen.
„Ich glaube, hilf meinem Unglauben.“ - so heißt sie und steht im Markusevangelium im 9. Kapitel.
Da fleht ein Vater Jesus an und bittet um Hilfe für sein krankes Kind. Natürlich hören wir seinen Verzweiflungsschrei in einer neutestamentlichen Heilungsgeschichte als Standortbestimmung der Frömmigkeit dieses Mannes. „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“
In einer Bibelübertragung dieser Textstelle in jugendliche Gegenwartssprache habe ich Folgendes gelesen:
„Der Vater sagte dann: Ich habe ein großes Vertrauen in Sie. Aber helfen Sie mir dabei, Ihnen wirklich auf die Art zu glauben, wie es nötig ist.“
Aber geht es wirklich darum: Zu sagen, es gibt einen Glauben an Gott und einen noch richtigeren Glauben? Es gibt eine Möglichkeit, noch tiefer, noch wirklicher zu glauben?
Es gibt einen Glauben ohne Zweifel? Einen „reinen“ Glauben?
Der Ausruf des Vaters ist nicht nur Verzweiflungsschrei, er ist zugleich seine Antwort auf die Behauptung Jesu: Alles ist möglich für die, die glauben. Alles ist möglich für die, die vertrauen.
Woran aber glaubt der Mann? Wem vertraut er?
Das scheint eindeutig zu sein: Er glaubt Jesus seinen Gott. Er glaubt an Gott, von dem Jesus so ergriffen sprechen kann. Er vertraut Jesus. Deshalb vertraut er Gott.
Und wenn er dieses Vertrauen tatsächlich hat, dann weiß er, das Vieles noch nicht so ist, wie es sein könnte:
Besser, gerechter, liebevoller, harmonischer, gesünder …
Wenn er wirklich an Gott glaubt, dann weiß er, dass sich manche Dinge und manche Verhältnisse ändern müssen.
Und dann ahnt er, dass er aufgefordert ist, dabei zu helfen, dass sich etwas ändern muss.
„Ich glaube – aber hilf meinem Unglauben. Ich glaube, aber ich zweifle auch. Ich vertraue, aber ich spüre meinen Mangel an Vertrauen.“
Woran aber glaubt der Vater nicht? Woran mangelt es ihm? Am richtigen Glauben?
Ich wage einmal folgende Interpretation:
„Ja, ich glaube an dich, Gott. Aber ich kann nicht glauben, was sich hier gerade abspielt.
Ich kann nicht glauben, dass mein Kind so leiden muss! Ich kann nicht glauben, dass das dein Wille sein soll! Daran zweifle ich! Daran verzweifle ich. Hilf mir da raus! Zeige mir, dass das nicht sein kann. Zeige mir, dass das nicht sein darf.“
D.h., gerade weil der Vater Gott vertraut, gerade weil er an Gott glaubt, zerbricht er fast an der Wirklichkeit. Gott kann nicht wollen, dass sein Sohn so leiden muss. Ein Gott, der das wollen würde, wäre nicht der Gott, an den er glauben könnte.
„Ich glaube an dich – aber hilf mir, mit der Wirklichkeit zurecht zu kommen."
Ich habe die leise Ahnung, dass es im Kern um diese Wahrnehmung geht: die Widersprüchlichkeiten des alltäglichen Lebens aushalten zu können; damit klar zu kommen, dass das Leben es nicht immer nur gut mit einem meint.
Und dann darauf zu vertrauen, dass trotzdem alles gut wird. Dass ganz am Ende Gott es ist, der allem einen Sinn gibt, alles umfängt und niemanden allein lässt. Dieses Vertrauen schenkt uns immer eine Möglichkeit mehr, als wir zu glauben meinen.
Deshalb kann Jesus sagen: „Alles ist möglich, wenn wir darauf vertrauen, dass Gott immer mit uns ist.“
Dieses Vertrauen wünsche ich uns allen weiterhin für 2020 und all die Jahre, die noch kommen werden.
Hier finden Sie diese Andacht zum Ausdrucken.