Auf manchen Sturm würde man gerne verzichten.
Ein Leben als Kreuzfahrt im exklusiven Luxusliner ist da schon eher der Traum. Die Route der Reise ist gut geplant und wird fahrplanmäßig erreicht:
Einchecken mit Geburt, Schulabschluss beim ersten Landgang. Lieblingsmensch finden beim zweiten Landgang, Strandhochzeit auf einer Südsee-Insel. Wechsel in eine größere Kabine, Berufseinstieg, ein Hauch von Abenteuer bei gesicherten Klettertouren und exotischen Zielen. Weiter gleitet der Luxus-Liner zu den nächsten Stationen über Kinderland zu Silberhochzeit. Später steigen noch Enkelkinder zu. An Bord spielt die Band, das Buffet bietet immer exquisitere Gaumenfreuden. Im Fitnessraum verbrennt man Kalorien, schwitzt beim Muskelaufbau. Kleinere Reparaturen an Bord stören die Fahrt nicht. Stürme werden umschifft, ein Mediziner und eine Geistliche sind stets in erreichbarer Nähe für den Fall der Fälle. Ein wenig Staunen über die Schönheit der Natur erhebt die Seele ab und an. Abends wird gelegentlich mit einem Glas Wein angestoßen: „Was haben wir es gut“, seufzt man mit wohliger Dankbarkeit. So fährt das Kreuzfahrtschiff sicher und planmäßig, bis es schließlich hinterm Horizont verschwindet, während die Abendsonne sich im glatten Meer spiegelt.
Es ist ja wahr, dass Schiffbruch erleiden nicht erstrebenswert ist und dass die Stürme des Lebens die Illusion einer solchen Traumschifftour wegblasen. Wir kommen dem Göttlichen auf der imaginären Fahrt mit dem Traumschiff auch nicht näher, weil es uns zu vertraut erscheinen würde. Es würde uns gar nicht mehr in den Sinn kommen in der eingeübten Bewunderung des Bergmassivs und der routinierten Dankbarkeit.
Jesus drängte nach einem langen Tag seine Jünger ins Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren. Und am Abend kämpfte das Boot mit den Wellen. Denn der Wind stand ihm entgegen.
„Die ersten drei Jahre war Ole ein ganz normales Kleinkind“, erzählen Lind und Felix. „Ein bisschen Physio wegen einer kleinen Entwicklungsverzögerung. Dann die Diagnose – Ole wird kein normales Leben führen können.“
Am Abend kämpfte das Boot mit den Wellen.
Am frühen Morgen aber kam Jesus zu ihnen. Er ging über den See.
Diejenigen, die solche Jesus-Geschichten kennen, wissen: Ab jetzt wird alles gut. Jesus kommt, Wellen werden sich beruhigen. Der Wind wird schlafen gehen. Das andere Ufer wird erkennbar. Alles wird gut.
Aber das ist zu schnell. Es wird gut werden, ja. Aber dazwischen passiert etwas:
Als die Jünger Jesus auf dem Wasser gehen sahen, wurden sie von Furcht gepackt: „Es ist ein Gespenst!“, rufen sie und schreien vor Angst.
Dass Jesus auf den Wellen von Frustration, Enttäuschung und Leid kommt, um uns zu begegnen, das ist fremd, das ist unerwartet. Da kommt etwas Göttliches auf uns zu, das wir nicht im Blick haben. Von dem wir nicht wissen, ob es uns gut tut oder ein Schreckgespenst ist. Wir wissen nicht, ob wir das glauben können.
Auch die Jünger im Boot verlieren ihren gewohnten Glauben, die Sicherheit, die Gott ihnen sonst gibt. Der sanfte Gott, der seine zwölf Engelein abends um mein Bett stellt, wie es die Großmutter erzählt, entzieht sich nämlich, wenn die Wellen über die Reling schwappen und die Muskeln beim Rudern gegen den Sturm schmerzen. Wenn es wehtut und kein Land in Sicht kommt. Auf den Wellen und im Sturm kommt etwas Göttliches nahe und macht den Kinderglauben zunichte. Stattdessen erahnen wir etwas Göttliches, das mehr versteht von Gegenwind und Wellen als von Traumschiff-Idylle.
Es ist ein Moment im „Dazwischen“ – bevor alles gut wird. Bevor man glaubt und erfährt: Es wird anders gut. Im Dazwischen wird Gott anders. Ein Moment im Dazwischen stellt plötzlich alles in Frage.
Aber – Gott sei Dank, es ist nur ein Moment, auch wenn dieser manchmal ewig erscheint.
Jesus sprach sie sofort an: Erschreckt nicht. Ich bin es. Fürchtet euch nicht.
Ich weiß nicht, wie Ihnen persönlich Gott neu begegnen wird in Ihrem Leben zwischen den Ufern, in Ihrem Dazwischen, Ihrem Rudern gegen die Wellen und Ihrem Ankämpfen gegen den Sturm.
Petrus wagt es, in einer Mischung aus Furcht und verzweifeltem Mut, aus dem Boot zu steigen. Aber das gelingt ihm nur kurz. Wieder nur einen Moment im Dazwischen.
Oles Eltern hatten mal andere Träume für ihr Leben. Ein Kind mit Behinderung stand nicht auf dem Reiseplan. Es wurde ein anderes Ufer als geplant. Es war ihnen fremd, dieses Leben und dieser Gott.
Sie hätten es nicht für möglich gehalten, aber sie haben das andere Ufer erreicht – durchgeschüttelt, fast gekentert und mit einem Gott, der sie aus den Wellen zieht. Dankbar, wie sie es nie erahnt hätten.
Aber auch jetzt ist nicht alles gut. Ihr Boot muss wieder in See stechen. Es verlässt das vertraute Ufer. Jetzt rudern sie, um wieder ein Paar zu werden, gegen die Winde eines leeren Lebens ohne Ole.
Leben ereignet sich auch zwischen den Ufern. Wo der Wind weht. Die Wellen schlagen. Wir uns in die Riemen legen. Gerade dort, zwischen den Ufern, brauchen wir die Geschichte von Jesus, der über die Wellen geht, und Petrus, der es auch mal kurz schafft mit dem Seewandel und dem, als er scheitert, Jesus die Hand reicht und uns damit zeigt: Gott ist da – gerade im „Dazwischen“, zwischen den Ufern.