2. Korinther 1,3-7
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis, damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. Werden wir aber bedrängt, so geschieht es euch zu Trost und Heil; werden wir getröstet, so geschieht es euch zum Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden. 7Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: Wie ihr an den Leiden teilhabt, so habt ihr auch am Trost teil.
Liebe Gemeinde,
das sind die biblischen Worte aus dem zweiten Korintherbrief, die für den heutigen Sonntag als Predigttext vorgeschlagen werden. Ich deute sie heute in sechs kleinen Abschnitten:
Paulus schreibt seinen Brief an die Gemeinde in Korinth. Keine leichte Situation für ihn, schließlich gab es häufig Streit zwischen ihm und der Gemeinde. Gut, dass sein Mitarbeiter Timotheus ihm hilft, den Brief zu verfassen. Zusammen geht so etwas leichter. Normalerweise beginnt Paulus seine Briefe immer mit einem Dank an Gott für die Gemeinde. Diesmal ist das aber nicht dran. Ihm liegt Anderes auf dem Herzen. Er beginnt seinen Brief mit einem Lobpreis, den er an Gott richtet. Paulus kann gerade aufatmen und zurückblicken auf die vergangenen Erlebnisse. Große Last lag auf seinen Schultern. Viel Leid, dass er aushalten musste. Und jetzt? Jetzt hat er eine Atempause. Einen Moment, in dem er sich besinnen kann auf das, was gewesen ist. Was er dabei spürt? Tiefe Dankbarkeit und Nähe zu Gott! Gelobt sei Gott allen Trostes!
Szenenwechsel: Die sechsjährige Julia kommt später nach Hause, als es mit ihrer Mama abgesprochen war. Ihre Mama fragt sie, warum sie sich verspätet hat. Julia erzählt ihr, was passiert ist. Tom ging es heute richtig schlecht, erzählt sie. Erst konnte er gar nicht darüber reden. Er hat einfach gar nichts gesagt und war mucksmäuschenstill. Richtig komisch. Ganz anders als sonst. Irgendwie gar nicht richtig da, obwohl er ja direkt neben mir gesessen hat. Warum ging es Tom denn so schlecht, fragte die Mutter. Julia berichtete von Toms Puppe, die beim Spielen kaputt gegangen war. Naja, Tom hat es ein bisschen übertrieben und dann ist der Arm einfach abgebrochen, berichtet sie. Ohne Vorwarnung. Ganz aus dem Nichts. Tom war wütend und traurig. Die Puppe hat er von seiner Lieblingstante zum Geburtstag bekommen. Jetzt hat er richtig Angst, dass das Ärger gibt. Es war wirklich eine schöne Puppe, erklärte Julia. Echt blöd, was Tom da erlebt hat. Ich hab so richtig mitgelitten mit ihm und seiner Puppe. Gelobt sei das Mitleid.
Ich nehme Sie mit in mein Wohnzimmer: Auf meinem Tisch liegt die Fernbedienung, daneben ein Strauß Narzissen, der irgendwie lustlos erscheint. Vermutlich habe ich ihn zu spät ins Wasser gestellt. Die Blüten wollen einfach nicht zum Vorschein kommen. Der Fernseher läuft gerade. Schon wieder diese furchtbaren Nachrichten. Eigentlich habe ich mir vorgenommen gar nicht mehr einzuschalten. Sofort kommt die erste Nachrichtenwelle über den Krieg in der Ukraine. Unzählige Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Unzählige Menschen, die in diesen Tagen ihr Leben verlieren. Unzählige Menschen, wie ich und Du. Diese schrecklichen Ereignisse gehen mir nah. Sie machen mir Angst. Sie lassen mich fassungslos und traurig zurück.
Dann die zweite Nachrichtenwelle: Corona. Jetzt schalte ich den Fernseher aus. Schluss für heute. Ich lasse mich in meinen Sessel sinken.
Einen kurzen Moment nicht aufgepasst und schon bin ich wieder drin in der Leid-Spirale. Ja, manchmal ist Leid leichtes Gepäck, was ich mit mir trage. Dann werfe ich es mir über wie eine dünne Sommerjacke. Manchmal zieht es mich aber auch so richtig runter. Wie ein schwerer Rucksack voll mit Steinen. Das kann ich nur schwer ertragen. Da ist kaum Luft zum Atmen. Alles fällt schwer. Die guten Nachrichten höre ich dann gar nicht mehr. Die schlechten dringen tief ein in mein Innerstes. Der Krieg in der Ukraine. Corona. Ich gerate in allerlei Bedrängnis. Gelobt sei mein Sessel, in dem ich versinken kann.
Zurück zu Paulus: Er will sein Gefühl des Getröstet-Seins an die Menschen in Korinth weitergeben. Er schreibt der Gemeinde vom tröstenden Gott. Dabei lässt er offen, um welche Not und Bedrängnis es sich konkret handelt. Ist damals wie heute: Nicht alle haben die gleichen Ängste und nicht alle tragen dieselben Lasten. Aber allerlei Bedrängnis gibt es schon. Damals in Korinth. Heute hier in Bochum-Nord. Paulus will die Menschen nicht vertrösten. Er will ihnen mitfühlend Hoffnung zusenden, die er selbst schon spüren durfte. Dabei denkt Paulus an die Bedrängnis, die Jesus erlebt hat. Es geht ihm jedoch nicht um Relativierung. Es geht nicht um das Abwerten unserer Gefühle. Auch nicht um Ablenkung. Gott hat sich mitten hineinbegeben in das menschliche Leid. Jesus trägt den Rucksack mit unseren großen Steinen bis zum Kreuz nach Golgatha mit. Gelobt sei Jesus, der es mit mir aushält!
Zurück zum Gespräch zwischen Julia und ihrer Mama: Und habt ihr die Puppe wieder repariert? Ist sie wieder heil? Julia schmunzelt. Nein, Mama, die Puppe ist kaputt. Hat jetzt nur noch einen Arm. Aber ich konnte Tom trotzdem helfen. Wie das denn?, fragt ihre Mutter. Ich war mit Tom zusammen traurig. Ich konnte ihm helfen zu weinen. Gelobt sei, dass es Freundschaft gibt!
Ein letztes Mal noch in mein Wohnzimmer:
Nach einer Weile schalte ich das Licht an. Es ist noch zu früh zum Schlafen gehen. Ich bin in meinen Gedanken versunken. Gedanken über mein Gefühl von Leid, was schon länger auf meinen Schultern lastet. Ich suche die Fernbedienung, vielleicht läuft ja doch noch was Lustiges im Fernsehen, was mich ablenken könnte. Ich blicke auf den Wohnzimmertisch. Was ich sehe? Nicht die Fernbedienung, aber die Vase mit den Narzissen. Da sehe ich sie: Die kleine gelbe Blüte, die sich in der Dunkelheit dazu entschlossen hat, aufzugehen. Ich bin schon wieder fassungslos. Diesmal gerührt. Ein tiefes Gefühl von Dankbarkeit. Echter Trost, der sich wirklich gut anfühlt.
Haben sie das schon erlebt? Durch Menschen, die ihnen nahestehen? Durch kleine oder große Momente? Durch Freundschaften hier in der Gemeinde? Menschen auf die sie sich verlassen können? Orte, die ihnen Mut und Zuversicht schenken?
Dieser Trost bedeutet nicht, dass Tränen einfach trocknen oder dass der Krieg vorbei ist. Dieser Trost bedeutet: Ich bin in meinem Leid nicht allen. Gott leidet mit. Jesus leidet mit. In Jesus leidet Gott mit.
Denn dann ist es so, als würde sich Jesus neben uns setzen. Auch dann, wenn wir unseren Mut und unsere Hoffnung aufgegeben haben. Dann weint er mit Tom um seine Puppe. Dann sitzt er neben mir im Fernsehsessel und ist entsetzt über den Krieg in der Ukraine. Dann ist er genauso frustriert wegen Corona, wie ich. Und genauso gerührt über die Blüte auf dem Tisch. Gelobt sei der Gott allen Trostes!
Ihre Vikarin Alica Baron-Opsölder