HimmelsAnker Nr. 117 vom 22.05.22

Richtig beten | HimmelsAnker zum Sonntag Rogate 2022 | Lukas 11,1-13

Unsere Tochter ist jetzt so alt, dass sie spricht. Das freut mich sehr! Jetzt kann sie uns nämlich sagen, was sie von uns will. Vorher hat sie immer nur gemault oder geweint. Dann kam die Phase, in der sie auf Dinge gezeigt hat und dann „Das!“ gesagt hat. Jetzt kann sie uns mit Worten sagen, was sie gerade braucht oder haben will, z.B. „Toas‘“. Toastbrot ist gerade voll angesagt bei ihr. Oder sie sagt „Komm her!“. Das mag ich gerade am liebsten. Das heißt nämlich, dass sie auf den Arm genommen werden will. Wie gesagt: Das ist schön, dass sie so sprechen kann. Gelernt hat sie das meiste davon, durch Nachplappern. Sie sieht und hört zu, was die anderen tun und sagen und macht das dann nach. Und genau da kann es dann schwierig werden. Denn sie plappert ALLES nach! Das heißt, dass wir zuhause vorsichtig sein müssen mit dem, was wir so sagen. Und das ist wirklich leichter gesagt als getan. Haben Sie sich schon mal den kleinen Zeh gestoßen? Oder versehentlich einen Teller mit Erbsen fallen gelassen, die überall hin rollen? In solchen Momenten muss ich mich echt zusammenreißen! „SCH … ande, Schande, Schande“ oder „Schei …benkleister“. Vielleicht kennen Sie ja noch mehr „Hilfsworte“ für solche Situationen. Ich bin für Anregungen dankbar! Ich brauche solche Worte nämlich dringend. In solchen Momenten mit plötzlichem Schmerz, fieser Wut oder riesigem Frust schaffe ich es nämlich nicht, einfach still zu sein. Der Schmerz, der Ärger, der Frust müssen raus! Und zwar am besten schnell, laut und eindrücklich. Aber bitte eben nicht mit Worten, die unsere Tochter in der Kita nicht sagen soll.

Sie wissen das ja alle: Es gibt Wörter, die soll man nicht sagen. Oder die in manchen Situationen einfach unpassend sind. Das sind nicht nur Schimpfwörter. Die Queen dürfte ihren Sohn öffentlich z.B. nie „Schnuckibär“ nennen. Stellen Sie sich mal vor, was die Presse daraus machen würde!

Es gibt Regeln dafür, wie wir miteinander sprechen. Diese Regeln sind nicht unbedingt irgendwo aufgeschrieben. Die meisten dieser Regeln geben wir weiter durch Vormachen und Nachmachen.

Und da ist es ja nicht verwunderlich, dass auch mal jemand danach fragt, wie wir mit Gott reden soll. Wie der Jünger im Lukasevangelium in Kapitel 11: 

111Einmal hatte sich Jesus zurückgezogen, um zu beten. Als er sein Gebet beendet hatte, bat ihn einer seiner Jünger: »Herr, sag uns, wie wir beten sollen. Auch Johannes hat seine Jünger beten gelehrt.«

Jesu Antwort kennen Sie alle. Es ist, glaube ich, das berühmteste Gebet auf dieser Erde. Ich zitiere es trotzdem einmal hier, weil es nicht schadet, es mal in einer anderen Fassung zu hören:

2Da sagte Jesus zu ihnen: »Wenn ihr betet, dann so:

Vater, dein Name soll geheiligt werden.

Dein Reich soll kommen.

3Gib uns heute unser tägliches Brot.

4Und vergib uns unsere Schuld –

denn auch wir vergeben allen, die

an uns schuldig werden.

Stell uns nicht auf die Probe.«

Mit diesem Gebet können die Jünger nichts falsch machen. Und wir auch nicht. Darum ist das Gebet wahrscheinlich auch so weit verbreitet.

Jesus spricht aber noch weiter. Ich finde er antwortet dann nicht mehr auf die Frage, wie gebetet werden soll, sondern eher, ob sich das Beten lohnt.

Er sagt:

5Dann sagte Jesus zu seinen Jüngern: »Stellt euch vor: Einer von euch hat einen Freund. Mitten in der Nacht geht er zu ihm und sagt: ›Mein Freund, leih mir doch drei Brote!6Ein Freund hat auf seiner Reise bei mir haltgemacht. Ich habe nichts im Haus, was ich ihm anbieten kann.‹7Aber von drinnen kommt die Antwort: ›Lass mich in Ruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen, und meine Kinder liegen bei mir im Bett. Ich kann jetzt nicht aufstehen und dir etwas geben.‹8Das sage ich euch: Schließlich wird er doch aufstehen und ihm geben, was er braucht – wenn schon nicht aus Freundschaft, dann doch wegen seiner Unverschämtheit.

9Ich sage euch: Bittet und es wird euch gegeben! Sucht und ihr werdet finden! Klopft an und es wird euch aufgemacht!10Denn wer bittet, der bekommt. Und wer sucht, der findet. Und wer anklopft, dem wird aufgemacht.11Welcher Vater unter euch gibt seinem Kind eine Schlange, wenn es um einen Fisch bittet?12Oder einen Skorpion, wenn es um ein Ei bittet?13Ihr Menschen seid böse. Trotzdem wisst ihr, was euren Kindern guttut, und gebt es ihnen. Wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn darum bitten.«

Beten lohnt sich also, sagt Jesus seinen Jüngern. Sie können mit allem, was sie auf dem Herzen haben, zu Gott kommen. Bittet, so wird euch gegeben! Ich persönlich glaube, dass Gottes uns dann nicht übel nimmt, wenn wir vor lauter Wut, Frust oder Ärger auch mal klare Worte sagen, wenn wir ihm klarmachen wollen, in welcher Scheiße wir stecken. Ach, jetzt habe ich es doch gesagt. Für den Fall, dass uns die Worte fehlen, gibt es immer noch das Vaterunser.

Gott weiß, was gut für uns ist. Mindestens so gut wie eine Mutter oder ein Vater. Wenn meine Tochter immer mehr Kekse haben will, gebe ich sie ihr auch nicht einfach so. Einer reicht. Na, gut, es können auch mal zwei sein.

Jedenfalls heißt Bitten und Beten nicht, dass man auch genau das kriegt, was man will. Das war ja selbst Jesus nicht vergönnt. Im 22. Kapitel im Lukasevangelium betet Jesus nämlich so: „Vater, wenn du willst, nimm diesen Becher weg, damit ich ihn nicht trinken muss!“ Jesus hatte nämlich keine große Lust, gedemütigt, geschlagen und getötet zu werden. Trotzdem musste er all das erleiden.

Beten macht nicht alles schön. Aber es erinnert uns daran, dass wir mit all dem nicht allein sind. Und es stärkt die Hoffnung, dass wir dem allen nicht völlig machtlos ausgeliefert sind. Konstanze Kemnitzer, Professorin für Praktische Theologie, sagt dazu: „Wenn wir Menschen vom Beten sprechen, dann konfrontieren wir uns mit unserer Ohnmacht. Beten heißt, ich gehe an den Punkt, wo meine Macht endet und ich ersehne mir die Macht eines anderen. Wir werden durch das Gebet nicht machtvoller, sondern wir lassen Gott die Macht.“

Sie sagt auch weiter über das Beten: „Nach weltlichen Maßstäben gibt es wohl auch nichts Unsinnigeres.“ Und ich gebe ihr da recht. Nach weltlichen Maßstäben wirkt Beten unsinnig. Und darum ist Beten auch ein Widerstand gegen genau diese weltlichen Maßstäbe. Oder vielmehr ein Widerstand gegen die alleinige Gültigkeit dieser weltlichen Maßstäbe. Beten drückt aus, dass es da noch mehr gibt. Die Welt mag unfair und ungerecht sein, aber sie muss es nicht bleiben. Beten stärkt die Hoffnung auf eine bessere Welt, so wie Gott sie uns verspricht. Die Hoffnung, dass sein Reich kommt, wie im Himmel, so auf Erden. Und das gemeinsame Beten erinnert uns daran, dass wir mit dieser Hoffnung nicht allein sind auf der Welt. Auf der ganzen Welt gibt es Menschen, die das Vaterunser beten. In vielen verschiedenen Sprachen, in allen Teilen der Erde. Mit all diesen Menschen sind wir durch unseren Glauben verbunden. All diese Menschen hoffen zusammen mit uns. Wir alle hoffen auf Gott. Denn sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Amen.