Heute geht es um ein ganz kurzes biblisches Wort. Genauer gesagt über ein kurzes Wort in unseren deutschen Lutherbibeln. Es besteht nur aus drei Buchstaben. Ahnen sie schon, worum es geht? Wir benutzen dieses Wort auch in unserem Alltag oft. Ich gebe Ihnen mal ein paar Beispiele:
„Ach, das wusste ich gar nicht!“
„Ach wirklich?“
„Ach, die Arme!“
(ärgerlich:) „Ach nein!“
(bittend:) „Ach komm schon ...“
(bittend:) „Ach bleib doch noch.“
Sie haben erkannt: Mit dem kleinen Wörtchen „Ach“ können wir ganz viele Stimmungen, ganz unterschiedliche Empfindungen ausdrücken. In unserer deutschen Sprache kennen wir auch das Wort „ächzen“. Und „ächzen“ bedeutet eigentlich nichts anderes als „Ach sagen“.
Martin Luther und sein Übersetzer-Team hatten damals ein gutes Gespür für die hebräische und griechische Sprache und haben den deutschen Ausruf „Ach“ immer dann eingebaut, wenn es der hebräische Text des sogenannten „alten“ Testaments und der griechische des Neuen Testaments nahelegten. Und so finden wir das Wörtchen „Ach“ 123 mal in unseren Lutherbibeln. Und wie könnte das anders sein, wenn in dem Ausruf „Ach“ doch scheinbar das ganze Leben vorkommen kann? Meistens kommt es in Gebeten vor. Wenn ein Mensch Gott das Herz ausschüttet oder Gott um etwas bittet: „Ach, Herr! Ach, Gott!“ Das klingt dann z.B. so wie im Buch Daniel: „Ach, Herr, höre! Ach, Herr, sei gnädig! Ach, Herr, merke auf und handle!“ (Dan 9,19).
So ein kleines Wort und wir können unsere ganzen Herzen reinpacken, das ganze Elend, alles, worunter wir ächzen. Es ist eine leise, vorsichtige und doch eindringliche Bitte: „Ach Gott.“ Fast so, als müsste ich mit diesem „ach“ erst mal meinen ganzen Mut zusammennehmen, um Gott tatsächlich anzusprechen.
Es gibt in der hebräischen Bibel dazu ein wirklich schönes und anschauliches Beispiel. Eine fiktive Unterhaltung zwischen Abraham und Gott. Darin nimmt Abraham gleich mehrfach auf diese Weise Anlauf, um Gott anzusprechen. Immer wieder „Ach“. Immer wieder fasst sich Abraham ein Herz, um mit Gott zu verhandeln. Worum geht es? Die Worte „Sodom und Gomorra“ sagen Ihnen wahrscheinlich etwas. Haben Sie bestimmt schon mal gehört. In Sodom und Gomorra herrschten so schlimme Zustände, dass es die beiden Städte über Jahrtausende hinweg bis in unsere heutige Redewendungen geschafft haben.
Jedenfalls erklärt Gott Abraham dann, Sodom vollständig vernichten zu wollen. Ok – um diese Stadt ist es nicht schade, könnte Abraham jetzt denken und achselzuckend weitergehen. „Das geht mich nichts an“. Abraham aber denkt anders und fängt an, mit Gott zu verhandeln: „Gott, stell dir vor, es gäbe 50 Menschen in Sodom, die aufrichtig und gerecht sind, dann kannst du die Stadt doch nicht vernichten!“ „Gut“, antwortet Gott, „wenn es dort 50 solcher Menschen gibt, dann bekommt die ganze Stadt eine zweite Chance.“
Abraham ist klar, dass das mit den 50 guten Menschen in Sodom überaus optimistisch ist.
„Ach“, sagt er, „was wäre, wenn es nur 45 sind?“ Gott antwortet: „Ok – auch 45 würden mir reichen.“
Und jetzt fängt Abraham an, Gott immer weiter runter zu handeln. 40, 30, 20. Und immer wieder lässt Gott sich erweichen und stimmt zu. Dann nimmt Abraham einen letzten Anlauf. Ihm ist bewusst, „das ist jetzt wahrscheinlich meine letzte Bitte“. Seine größte Bitte zugleich. „Ach, vielleicht gibt es ja nur zehn gute Menschen in Sodom? Was dann?“ Und Gott sagt: „Zehn würden mir reichen.“ Wow! Und dann beendet Gott das Gespräch. „Jetzt lass gut sein, Abraham.“
Abraham hat Gott in den Ohren gelegen. Kann man so mit dem Ewigen reden? Mit Gott? Mit dem Göttlichen? Man kann – sagt diese Geschichte; und sie ermuntert ausdrücklich dazu. Gott lässt so mit sich reden. Und Gott hört auch zu.
„Ach!“ Das große Elend und das kleine. Was uns bedrückt, was uns zu schaffen macht, im eigenen Leben, in der nahen und weiten Welt. All das hat Raum vor Gott. Im Gebet und in einem unsicheren, geseufzten oder gestammelten „Ach“. Ein Gebet muss nicht aus wohlgesetzten Worten bestehen. Ein „Ach“ aus der Tiefe des Herzens tut es auch.
In dieser Geschichte vom Gespräch Abrahams mit Gott über Sodom spricht Gott am Ende auch so was wie ein „Ach“. In Wahrheit findet Gott nämlich nicht zehn, sondern nur einen einzigen guten Menschen in der Stadt. Diesem einen sendet Gott dann zwei Engel, die ihn in höchster Not retten. Abrahams „Ach“ vermochte es, Gott anzurühren – erzählt uns die Bibel an dieser Stelle.
Denn zu den erstaunlichen Gedanken der Bibel gehört, dass auch Gott selbst manchmal „Ach“ sagt. Wenn es um Menschen geht, um unsere Welt. Da seufzt Gott manchmal. Ein Stoßseufzer; zugleich eine eindringliche Bitte, diese Seufzer Gottes wahrzunehmen.
Biblische Erzählungen wollen uns sagen: Gott sucht das Herz der Menschen. Auf dass wir reagieren, stehen bleiben, innehalten, nachdenken, bereit werden, etwas zu ändern; über unseren Tellerrand zu schauen und auf unsere Mitmenschen zuzugehen.
Auf dass wir Verantwortung übernehmen in unserer Gesellschaft, in unserer kleinen und der großen Welt.
Dass wir das leben, woran wir glauben und uns dafür einsetzten, dass es gerecht zugeht.
„Ach!“ Ein göttlicher Stoßseufzer, immer wieder über diese Welt ausgesprochen. „Ach, möge dieses kleine Wörtchen in uns nachhallen, dass wir darauf reagieren.