HimmelsAnker Nr. 119 vom 05.06.22

Der Turmbau zu Babel

Damals hatten alle Menschen nur eine einzige Sprache – mit ein und denselben Wörtern. Sie brachen von Osten her auf und kamen zu einer Ebene im Land Schinar. Dort ließen sie sich nieder. Sie sagten zueinander: »Kommt! Lasst uns Lehmziegel formen und brennen!« Die Lehmziegel wollten sie als Bausteine verwenden und Asphalt als Mörtel. Dann sagten sie: »Los! Lasst uns eine Stadt mit einem Turm bauen! Seine Spitze soll in den Himmel ragen. Wir wollen uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.«

Da kam Gott vom Himmel herab. Er wollte sich die Stadt und den Turm ansehen, die die Menschen bauten. Gott sagte: »Sie sind ein einziges Volk und sprechen alle dieselbe Sprache. Und das ist erst der Anfang! In Zukunft wird man sie nicht mehr aufhalten können. Sie werden tun, was sie wollen.Auf! Lasst uns hinabsteigen und ihre Sprache durcheinanderbringen! Dann wird keiner mehr den anderen verstehen.« Gott zerstreute sie von dort über die ganze Erde. Da mussten sie es aufgeben, die Stadt weiterzubauen. Deswegen nennt man sie Babel, das heißt: Durcheinander. Denn dort hat Gott die Sprache der Menschen durcheinandergebracht. Und von dort hat sie Gott über die ganze Erde zerstreut.

 

Liebe Gemeinde,

Als ich klein war, wollte ich so manche Nacht ins Bett meiner Mama laufen. Der Weg war relativ weit, weil mein Kinderzimmer am Ende eines langen Flures lag. Ich musste immer vorbei an den Zimmern meiner Geschwister. Es war dunkel und irgendwie war nachts alles wie verschwommen - klar gucken konnte ich nicht. In dunklen Ecken, da war ich mir sicher, lauerten böse Menschen, getarnt als Schatten. So lag ich die ein oder andere Nacht in meinem Bett und verbrachte viel Zeit damit, meine Sehnsucht nach Mama und meine Angst abzuwägen. Irgendwie wusste ich ja, dass mir nichts passieren würde, ich wusste, dass am nächsten Morgen, wenn die Luft klar und hell war, ich schnell den Eindruck wiedergewinnen würde, hier wäre alles in Ordnung. Aber in solchen Nächten überkam mich etwas, es war nicht logisch oder erklärbar. Es war ein starkes Gefühl in mir, dass ich nicht steuern konnte. Es war ganz klar der Geist der Angst, der da in mir war.

Da kam Gott vom Himmel herab.

Als Khader 17 Jahre alt war, wurde es so langsam ernst für ihn. In seinem Dorf im Sudan hatten die Leute schon länger Geschichten erzählt davon, wie der ein oder andere Schulkamerad nach Europa gereist war. Sie hatten im Internet gepostet, wie toll die Reise war, wie groß ihre Wohnungen waren, wie viel Geld sie nun verdienten. Als Khader aber neulich an einer Bar vorbeilief, wurden im Fernseher andere Bilder gezeigt: Er blieb stehen und hörte wie ein junger Somalier der Reporterin erzählte, was er erlebt hatte auf seiner Flucht. Er erzählte von Foltercamps in Lybien, die die Menschen vor dem Meer abfingen, von Armut, draußen schlafen, Angst vor dem Ertrinken. Der Barbesitzer scheuchte Khader vor dem Eingang weg. Er schüttelte die furchtbaren Bilder ab. Er wusste es war nicht logisch, nicht vernünftig sich in so eine Gefahr zu begeben. Aber da war ein starkes Gefühl in ihm, dass er nicht steuern konnte. Es war ganz klar der Geist der Hoffnung, der da in ihm war.

Da kam Gott vom Himmel herab.

Als Helga 65 Jahre alt war, starb ihre beste Freundin Helene. Sie waren zusammen in der Grundschule gewesen, dann im Konfirmandenunterricht, wo sie viel Zeit damit verbrachten, sich Briefe zu schreiben, indem sie in ihren Bibeln Wörter unterstrichen und hin und herreichten. Später heirateten sie beide junge Männer. Sie tauschten sich immer aus über die Ehen, über ihre Kinder, was sie gerne machten, was sie nur zu liebe ihrer Familien taten. An einem Geburtstag schenkte Helga Helene eine Fahrradtour mit einem Tandem. Sie hatte etwas kämpfen müssen bei den Männern, dass sie sie für ein Wochenende ziehen ließen, aber das war es wert. Tandemfahren war eine witzige Angelegenheit. So fuhren sie über Land und Feld, dabei das Zelt und das Gefühl von Freiheit. Sie machten Mittagspause und lagen dabei im Gras herum. „Bist du glücklich?“, fragte Helga Helene. „Bist du glücklich?“, fragte Helene Helga. Auch wenn Helene jetzt nicht mehr bei war und sie sie auf dem Friedhof besuchen musste statt zuhause, hatte dieses Gefühl, sich alles sagen zu können und auch füreinander zu leben, nicht aufgehört. Es war nicht logisch, weil Helga wusste, dass Helene nicht mehr da war. Aber es war da ein starkes Gefühl in ihr, dass sie nicht steuern konnte. Es war ganz klar der Geist der Verbundenheit, der da in ihr war.

Da kam Gott vom Himmel herab.

Unter den Menschen in Babel befand sich eine Truppe aus gelernten Handwerkern. Ihr Leitspruch bei der Arbeit war immer „Gott zu Ehren“. Doch Gott hatte ihnen noch nichts Gutes getan. Gemeinsam mit ein paar anderen Freunden sponnen sie eines Abends herum: Lass uns doch einfach ein Haus bauen, was bis in den Himmel ragt und dann sagen wir Gott mal unsere Meinung. Sie verloren sich in der Idee und stachelten noch andere an - Gott zur Rede stellen klang gut. Größer als Gott sein, den alle so toll fanden, klang noch besser. Sie verteilten Flugblätter und erzählten auf Marktplätzen, was sie vorhatten. In ruhigen Momenten bekam die Truppe dann doch Angst. Waren sie zu weit gegangen, was, wenn Gott böse wurde und was Schlimmes passierte? Egal, dachten sie trotzig. Dann soll er halt böse werden. Sie wussten, es war nicht logisch was sie machten - einen Machtkampf mit Gott zu führen. Aber es war da ein starkes Gefühl in ihnen, das sie nicht steuern konnte. Es war ganz klar der Geist der Streitsucht, der da in ihnen war.

Und Gott kam vom Himmel herab.

Als die kleine getupfte Taube 3 Jahre alt war, flog sie eines Tages über die Berge. Da geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel, wie von einem gewaltigen Sturm. Er erfüllte die Luft und die Taube wurde in Richtung einiger Häuser gewirbelt. Dort unten auf der Erde brauste es auch ganz schön doll, einige Eimer fielen um, Kinder liefen in die Häuser. Der Wind ergoss sich über ihnen allen. Dieser Wind war ein besonderer. Er hatte sich nicht erahnen lassen. Normalerweise konnte die kleine Taube, wenn sie ihren Schnabel in den Wind hielt, voraussehen, was der Himmel für sie bereithielt. Doch dieses Brausen kam im Flug. Es trug sie hoch am Himmel. Der Wind ergriff sie und ließ ihr Gefieder schaudern. Es war der Taube als ob der Wind ihr zuredete, wenn es so stürmte. Der Wind sprach dann ihre Sprache und gurrte. Die Taube fürchtete sich nicht vor diesem Wind, im Gegenteil, sie wusste, dass sie darauf vertrauen konnte, dass der Wind ihre Flügel trug. Wohin er sie brausen würde, das konnte sie jetzt nicht mehr beeinflussen. Gegen den Wind fliegen, das funktionierte nicht. Sie ließ sich tragen und genoss die aufregende Luftfahrt. Die kleine Taube wusste, es war nicht logisch sich dem stürmischen Wind anzuvertrauen. Aber es war da ein starkes Gefühl in ihr, dass sie nicht steuern konnte. Es war ganz klar der Geist von Pfingsten, der da in ihr war.

Und Gott kam vom Himmel herab.