„Ich kann das einfach nicht. Ich schaffe das nie.“ „Doch, du kannst das! Versuch’s nochmal!“
Klar kann sie das! Da war er sich absolut sicher. Fahrradfahren ist ja auch gar nicht so schwer. Fahrradfahren-Lernen dagegen sehr. Also lief er weiter neben ihr her. Er hielt sie fest, während sie in die Pedalen trat. Er schob sie Runde um Runde. Sein Rücken tat schon weh, weil er die ganze Zeit gebückt lief. „Papa, ich will nicht mehr. Das klappt sowieso nicht.“
„Komm, noch eine Runde!“ Eigentlich konnte er gar nicht mehr und Lust hatte er auch nicht mehr. Aus einer Runde wurden zwei und drei und immer mehr. Aber irgendwann war es endlich soweit! Sie fuhr Fahrrad! Ganz allein! Zuerst hat sie gar nicht gemerkt, dass er sie losgelassen hatte. Aber bald rief sie begeistert: „Ich kann Fahrrad fahren!“ Und das tat sie dann auch. Jetzt sauste sie dahin. Runde um Runde. Zwischendurch hat es mit dem Bremsen nicht so geklappt. Sie fuhr geradeaus, wo eine Kurve war. Aber nach der unfreiwilligen Pause im Gebüsch, stieg sie sofort wieder auf und trat in die Pedale. Der Vater war stolz und freute sich. Vorher hatte seine Tochter noch Angst, jetzt hatte sie richtig Spaß am Radeln. Er fand es toll, dass sie ihre Angst überwunden hat. Er hat sich gefreut, dass er ihr dabei helfen konnte.
Solche Momente gehören zum Leben dazu. Momente, in denen man Angst hat und in denen man an sich selbst zweifelt. Manchmal sind wir mit Aufgaben konfrontiert, die wir uns einfach nicht zutrauen. Aufgaben, die für uns ganz neu sind. Aufgaben, die jemand anderes wahrscheinlich viel besser erledigen könnte als wir. Vielleicht sind andere besser geschult oder stärker oder einfach älter und erfahrener. Ähnliche Gedanken hatte vielleicht auch Jeremia, als Gott ihm seine neue Aufgabe gab. Jeremia erzählt davon im ersten Kapitel des Jeremiabuches:
4 Und des Herrn Wort geschah zu mir:
5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.
6 Ich aber sprach: Ach, Herr Herr, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.
7 Der Herr sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.
8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der Herr.
9 Und der Herr streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.
10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.
Ich tauge nicht zum Predigen; denn ich bin zu jung! Ich kann Jeremia da gut verstehen. Ich denke auch manchmal: das wird nichts mit der Predigt. Über diesen Bibeltext kann ich nicht predigen. Dazu fällt mir einfach nichts ein. Da gibt es mit Sicherheit Theologen und Prediger, die das besser machen als ich. Da wünsche ich mir dann auch, dass Gott so direkt mit mir spricht, wie er mit Jeremia gesprochen hat: „Sage nicht: ,Ich bin zu jung‘, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.“ Oder „Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund“ Macht er aber nicht. Jedenfalls nicht so direkt.
Aber eben auf eine andere Weise. Zum Beispiel mit solchen Geschichten wie der von Jeremia. Dem Propheten wider Willen. Jeremia wollte das gar nicht. Die Aufgabe hat er sich nicht zugetraut. Ich wette, ihm wären einige andere Leute eingefallen, die diese Aufgabe besser erledigt hätten. Jeremia ist da auch kein Einzelfall. In der Bibel gibt es immer wieder Menschen, die sich von Gott überfordert fühlten. Mose zum Beispiel. Mose hat sich ganz schön gegen seine Aufgabe gewehrt. Er sah sich dafür nicht geeignet, mit dem Pharao zu verhandeln. Aber Gott hat ihn trotzdem überzeugt und losgeschickt. Obwohl Mose kein guter Redner war. Oder der Prophet Jona. Jona ist sogar vor Gott davongelaufen. Er musste von einem Fisch verschluckt und wieder ausgespuckt werden. Erst dann hat er seinen Auftrag ausgeführt. Sie alle hat Gott begleitet. Ob sie sich das nun selber zugetraut haben oder nicht.
Diese Geschichten helfen auf zwei Arten. Erstmal ermutigen sie uns dazu, selber aktiv zu werden. Sie ermutigen uns dazu, auch Aufgaben in Angriff zu nehmen, die uns erst viel zu schwer vorkommen. Sie erinnern uns daran, dass wir mit diesen Aufgaben nicht allein gelassen werden. Gott hat alle diese Menschen in der Bibel begleitet. Er hat ihnen beigestanden, auch wenn es für sie wirklich schwer wurde. Er hat ihnen immer wieder neue Kraft gegeben und ihnen Mut gemacht. Auch wenn sie alle nicht die perfekten Voraussetzungen mitbrachten, hat er doch gewusst, dass sie ihre Aufgabe meistern würden.
Er hat ihnen dabei geholfen, ihren Selbstzweifel zu überwinden. Er hat in ihnen mehr gesehen als sie selber. In ihnen hat er gewirkt. So wie in Jeremia: „Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.“ Und das, obwohl er sich selber zu jung vorkam. Für Gott sind solche scheinbaren Unperfektheiten und Schwächen kein Hindernis. Für seine Aufgaben und für sein Reich sind alle Menschen geeignet. Bei ihm sind alle willkommen. Für Gott scheint es nicht wichtig zu sein, dass wir perfekt für sein Reich ausgebildet sind. Vielmehr scheint es ihm wichtig zu sein, dass er sein Reich mit uns zusammen baut. Mit jedem und jeder einzelnen. Mit all den Fehlern und Schwächen, die wir mitbringen. Dem Vater, der seiner Tochter das Fahrradfahren beibringt, geht es ja auch nicht darum, einen Radprofi auszubilden. Es geht ihm darum, dass seine Tochter Fahrradfahren kann.
Und das ist die andere Art, wie diese Geschichten aus der Bibel uns helfen. Sie zeigen uns, wie wichtig Begleitung ist. Sie zeigen uns, dass wir alle Zuspruch und Ermutigung brauchen. Sie rufen uns dazu auf, für andere diese Begleitung zu sein. Sie rufen uns dazu auf, einander Mut zu machen und einander aufzubauen. So wie Gott in Jeremia wirkt und ihm seine Worte in den Mund legt, so wirkt er auch in uns. Er wirkt in dem Vater, der seine Tochter begleitet. Er wirkt da, wo Menschen für einander da sind. Er wirkt in der Nächstenliebe. Auch wenn er zu uns nicht so direkt spricht, wie er mit Jeremia gesprochen, ist er doch immer bei uns. Er legt seine Worte Menschen in den Mund. Oft merken diese Menschen das selber gar nicht.
Oft bemerken wir erst, dass Gott uns begleitet hat, wenn wir zurückblicken. Dieser Blick zurück lohnt sich. Er macht uns Mut für die Zukunft.