HimmelsAnker Nr. 11 vom 23.05.20

Stichwort Himmel

Der zurückliegende „Himmelfahrts-Feiertag“ macht es jedes Jahr deutlich:Manchmal erschwert die Vielfalt an biblischen Sprachbildern uns den Zugang zu einem Glauben an Gott, weil uns ihre symbolische Deutung nicht mehr geläufig ist.
Das Symbolwort „Himmel“ zähle ich dazu.
Im biblischen Sprachgebrauch bezeichnet „Himmel“  den Wirk- und Machtbereich Gottes. Das „Gottesreich“ ist das „Himmelreich“.
Und die Bibel weiß: Da wo Gott ist, ist das Reich Gottes  – oder eben bildlich gesprochen: Da wo Gott ist, ist das  „Himmelreich“, ist „Himmel“, ist es „himmlisch“.
Die Bibel weiß aber auch: Gott ist überall.
Also ist auch „Himmel“ überall.

Aber allzu oft denken wir bei Gott im Himmel dann doch an Gott da oben, weit weg,
für uns unerreichbar.
Und dann wird aus Gott sehr schnell der abwesende Gott, der Gott ausserhalb unserer Welt, der Gott, der mit uns nichts zu tun hat.

Und wenn man erst einmal so weit ist, dann wird aus diesem Gott, der mit uns nichts zu tun hat, schnell ein Gott, mit dem wir nichts mehr zu tun haben wollen, den wir nicht mehr brauchen, an den wir nicht mehr glauben.

Die Autorin Susanne Niemeyer hat es – wie ich finde - mit einer kleinen Geschichte geschafft, den biblischen Himmel zurück auf die Erde zu holen. Ich gebe sie hier in etwas verkürzter Fassung wieder:

 



Als Lia den Himmel fand

„Papa, wo wohnt Gott?“
„Gott? Im Himmel.“
Herr Großschmidt hat sich noch nie darüber Gedanken gemacht, wo Gott wohnt. Das ist kein bösartiges Desinteresse, sondern allein der Tatsache geschuldet, dass sie einander noch nie begegnet sind. Jedenfalls aus Herrn Großschmidts Sicht.
Es gibt ihn irgendwo, aber es spielt keine Rolle. Gott und er, findet Herr Großschmidt, leben in zwei Universen.

Lia, seiner Tochter, reicht jedoch die Ortsangabe „Himmel“ voll und ganz. Das ist schon mal was.
Den Himmel kann man sehen, also kann er nicht all zu weit weg sein. Wie China zum Beispiel, das man nicht sehen kann.
Lia würde Gott gerne mal besuchen. Um zu sehen, wie er wohnt, und ob er ein Haustier hat und einen Garten, so wie Lia.
Und es könnte ja auch sein, denkt Lia, dass Gott sie gerne einmal kennenlernen würde.
Um zu sehen, ob Gott vielleicht gerade aus seinem Himmel schaut, beschließt Lia rauszugehen, was Herrn Großschmidt nicht unrecht ist, weil er so in Ruhe seine Zeitung lesen kann.

Es ist ein sonniger, kalter Tag. In der Nacht hat es geregnet, was Lia schade findet. Schnee wäre besser gewesen. Lia legt den Kopf in den Nacken und guckt. Schäfchenwolken ziehen vorbei. Das sieht hübsch aus – aber Gott entdeckt sie nicht.

„He“, ruft sie, „bist du da?“
Keine Antwort. Vielleicht schläft er noch. Vielleicht hört er sie aber auch einfach nicht.
Lia stellt sich auf die Zehenspitzen, ruft noch einmal und guckt angestrengter.
Nach zwei Minuten tut ihr der Nacken weh.

So geht es nicht, denkt sie, ich muss näher ran. Aber wie? Alles Gute kommt von oben, sagt Opa immer.
Lia hat sich noch nie Gedanken darüber gemacht, aber auf einmal findet sie das komisch.
Wie sollen denn all die guten Sachen auf die Erde kommen?
Sie hat schon Regentropfen fallen sehen, auch Hagel. Und wenn man Glück hat, sogar Schnee.
Aber Sachen? Sie stellt sich vor, wie Bananeneis vom Himmel fällt oder Flummis oder Opas Tabletten, die er unbedingt braucht, weil sonst sein Herz ausgeht. Wenn man doch nur mal reingucken könnte, in den Himmel! Aber dafür müsste man näher drankommen.

Lia schaut sich um. Die Leiter! Mit der Leiter haben sie im Sommer Kirschen gepflückt.
Lia läuft zum Kirschbaum. Sie steht noch da. Mama schimpft immer, dass Papa nie aufräumt. Ein Glück. Lia klettert die Sprossen hoch. Sie ist eine gute Kletterin. Aber sie merkt sofort, dass es noch nicht reicht. Also höher. In den Kirschbaum hinein. Er hat schöne dicke Äste. Ein idealer Kletterbaum.

Mama sagt immer, sie soll nicht in den Baum klettern, weil sie sich sonst eines Tages das Genick bricht. Aber das ist natürlich Quatsch. Lia weiß genau, wohin sie treten muss, um ganz nach oben zu kommen, dort, wo die Äste sich gabeln und einen Sitz bilden, von dem aus man bis zum Wald sehen kann.

Lia legt wieder den Kopf in den Nacken. Das ist gar nicht so leicht, weil man das Gleichgewicht halten muss. Sie hält sich fest, guckt und ist enttäuscht. Der Himmel ist kein Stück näher gekommen.
Offenbar bringt es überhaupt nichts, irgendwo hochzuklettern. Will Gott nicht, dass man ihn besucht?
Warum sonst sollte er sich einen so unerreichbaren Wohnort ausgesucht haben?
Opa wohnt auf dem Land, aber zu ihm fährt wenigstens ein Bus.
Sie erwägt kurz, ob sie es mit dem Dach versuchen soll. Aber erstens ist es nicht viel höher als der Kirschbaum und zweitens könnte es Ärger mit Papa geben.
Enttäuscht guckt sie runter auf die Straße, die eigentlich keine richtige Straße ist mit Asphalt und so, sondern nur ein Sandweg mit lauter Pfützen. Mama ärgert das, weil das Auto immer so dreckig wird, aber Lia findet es gut, weil man mit Gummistiefeln hineinspringen kann.
Und gerade während sie daran denkt, die Gummistiefel rauszuholen, sieht sie es: der Himmel! Er ist da unten!
In den Pfützen spiegeln sich die Wolken und das Wasser leuchtet blau.
Aufgeregt klettert Lia von ihrem Baum und läuft zu einer besonders großen Pfütze. Und tatsächlich. Da ist er: Der Himmel. Man kann sogar hineinfassen. Irgendwo hier, denkt Lia, wohnt also Gott.

Sie sagt „Hallo“ und entdeckt eine Ameise und einen toten Marienkäfer. Ein bisschen von ihrem Gesicht sieht sie auch. Es lächelt sie an. Lia sitzt ganz still. Sie hat ihr Kinn auf die Hand gestützt und schaut. Eine Meise hüpft heran und trinkt zwei Schlucke. Lia rührt sich nicht. Ihr gefällt, was sie sieht.
Den Marienkäfer wird sie nachher begraben. Das hat sie schon mal gemacht, mit einer Maus.
„Du bist schlau“, sagt sie zu der Ameise oder zur Meise oder zu der Wolke in der Pfütze und meint Gott. „Ich würde den Himmel auch auf die Erde tun. Da kommt man viel besser dran. Da oben in den Wolken, das ist doch nichts.“

„Na Lia, was machst du Schönes?“, posaunt eine Stimme, so dass sie fast in die Pfütze fällt. Es ist Frau Mückenbier. Sie wohnt nebenan und ist eigentlich ganz nett. Sie spielt Klavier.
„Ach“, sagt Lia leichthin, „ich gucke mir den Himmel an.“ Frau Mückenbier lacht.
„Aber Schätzchen, der Himmel ist doch da oben!“
„Ja“, nickt Lia nachsichtig. „das habe ich auch mal geglaubt.“

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