Vielleicht kennen Sie die Erzählung aus dem 10. Kapitel des Markuseveangeliums, in der einige Leute Kinder zu Jesus bringen möchten, damit er sie segnen kann. Seine Jünger finden diese Idee gar nicht gut und weisen sie schroff zurück. Das wiederum erzürnt Jesus und er weist seine Jünger zurecht: „Wenn ihr euch das Reich Gottes nicht schenken lassen könnt wie ein Kind, kommt ihr niemals hinein.“ Und dann segnet Jesus die Kinder.
Eine wunderschöne Geschichte, wer wollte das bestreiten?
Nur – wir müssen diese Geschichte eben auch aus ihrer Zeit verstehen.
Zu jener Zeit, da war es tatsächlich so, wenn es um den Glauben ging – also um das, was wir heute Religion nennen.
Das war noch nichts für Kinder, so sagte man.
Das war die Sache der Großen, der Männer, die in der Tat, jedenfalls manche von ihnen, sich viel Zeit dafür nahmen und großen Aufwand betrieben, den Glauben zu verstehen.
Der Glaube: Das war eine Sache für erwachsene, reife Männer.
Die konnten und durften einem Lehrer, wie Jesus es war, nähertreten, ihm zuhören, mit ihm sprechen.
Aber das ist heute anders.
Der Glaube ist etwas, von dem die meisten Erwachsenen, jedenfalls die meisten Männer, gar nicht mehr reden, geschweige denn sich damit auseinandersetzen.
Vielen erwachsenen Menschen – vor allen Männern - ist Glauben heute - und das ist das Schlimmste – völlig egal. Sie finden es nicht gut, sie finden es nicht schlecht – es interessiert sie einfach nicht mehr.
„Das Leben ist schon kompliziert genug – was soll ich mich darum auch noch kümmern?
Ich kann ja Gott sowieso nicht sehen! Gibt es den überhaupt? Ich mache keine Erfahrungen mit Gott! Als mein Freund krank wurde, hat Gott auch nicht eingegriffen. Also: Was soll´s?“
Deswegen: Glaube ist heute nur noch etwas für Kinder – dem widerspricht kaum jemand.
Wenn überhaupt noch vom Glauben an Gott gesprochen wird, dann im Kindergarten, im Kindergottesdienst, im Religionsunterricht, in der Arbeit mit Konfirmanden und Konfirmandinnen.
Kinderbibeln, Kinderlieder, Familiengottesdienste, in denen Kinder etwas zur biblischen Geschichte, zum Glauben, zur Religion sagen: Das wird gerne gesehen und gehört.
Aber weil die Geschichte von Jesus und den Kindern das damals Übliche auf den Kopf stellt: Die sonst ausgeschlossen werden, werden bevorzugt zugelassen – weil diese Geschichte die Verhältnisse von damals auf den Kopf stellt, erzähle ich sie jetzt auch einmal so, dass die heute übliche Einstellung auch auf den Kopf gestellt wird.
Und vielleicht kommen wir dieser Geschichte dann wieder nahe.
Also: Da waren Kinder um Jesus versammelt, die hörten gespannt zu, wie dieser mit eindrucksvollen Geschichten von Gott erzählte, um sie zu ermutigen, offen zu sein für eigene Erfahrungen mit Gott.
Und da waren Große, Erwachsene, überwiegend Männer, die standen in weitem Abstand entfernt von Jesus und dachten sich: „Das ist – wir haben es ja schon immer gewusst – nichts für uns.“
Einige andere wiederum hatten Mitleid mit den Großen und wollten sie zu Jesus bringen: „Das ist auch was für euch, die ihr groß seid und reif, die ihr so Manches erlebt habt in eurem Leben, die ihr manchmal bitter seid und euch nichts mehr vormachen lassen wollt. Das ist auch was für euch: Sich darauf einzulassen, auch Erfahrungen mit Gott zu machen; heraus zu finden, was euch heilig ist. Ihr habt in eurem Leben doch schon genug schlechte Erfahrungen gesammelt und so manche eurer Hoffnungen sind sicherlich zerbrochen. Das ist gerade etwas für euch, sich wieder einzulassen auf Geschichten über Hoffnung und Zuversicht! Gerade ihr braucht das doch für euer Leben, gerade ihr, die ihr viel zu tun und zu arbeiten, viel zu verantworten habt; die ihr oft mit wenig Glauben viel schaffen müsst: Gerade ihr müsst zu Jesus gehen!“
Die Leute aber, die mit Jesus unterwegs waren, wurden unwillig und wollten sie vertreiben: „Nun stört ihn doch nicht, wenn er sich um Kinder kümmert! Der Glaube an Gott ist eine Sache der Kinder. Was wollt ihr Großen von ihm? Was erwartet ihr denn von Jesus? Ihr passt doch gar nicht dahin!“
Da wollten die Großen schon gehen und sagten: „Wir haben es ja gewusst. Und eigentlich habt ihr ja Recht: Wir sind viel zu groß, viel zu alt und viel zu erfahren. In unseren Herzen ist bestimmt kein Platz mehr für Gott, für etwas, das uns heilig ist.“
Da wurde Jesus sauer und sprach zu seinen Begleitern: „Lasst doch die Großen zu mir kommen und hindert sie nicht daran. Denn für sie ist das Reich Gottes da. Kommt her, ihr Großen, die ihr meint, ihr passt nicht hier hin! Denn das stimmt nicht. Auch in euch ist immer noch Platz für Gott. Gott schreibt niemanden ab! Nur weil Kinder noch unbekümmerter sind als Erwachsene, heißt das nicht, dass ihr für Gotteserfahrungen zu alt seid oder zu schlau oder zu erfahren. Auch für euch, mit all dem, was ihr mitbringt, ist Gott da. Auch für euch wird es etwas geben, das euch heilig ist.“
Hier finden Sie diese Andacht zum Ausdrucken.