HimmelsAnker Nr. 72 vom 04.07.21

5. Sonntag nach Trinitatis 2021 | 1.Kor 1,18-25

„Und? Wie wird das Wetter morgen?“ Das werde ich gerne mal gefragt. Vor allem vor Open-Air-Gottesdiensten. „Ich weiß es nicht. Was sagt denn die Wettervorhersage?“ „Na, sie müssen das doch wissen! Mit Ihrem guten Draht nach oben …“ „Was ich alles so wissen muss“, denk ich mir dann. Vielleicht kennen Sie das ja auch. Sie als Christin oder Christ, die Sie in die Kirche gehen. „Sorg doch mal für gutes Wetter! Du hast ja einen guten Draht nach oben!“ Das ist wahrscheinlich nicht ernst gemeint. Aber es gibt die erstgemeinten Fragen. Fragen, die ich nicht einfach so beiseiteschieben kann. Fragen, bei denen ich als Christ angefragt oder sogar hinterfragt bin. Meistens beginnen diese Fragen mit „Warum?“ Warum diese Krankheit? Warum dieser Tod? Warum ich? Wie sieht es da aus mit dem guten Draht nach oben? Welche Antworten können wir als Christen da geben? Haben Sie schonmal eine Beileidskarte geschrieben? Dann wissen Sie ja bestimmt, wie schwierig es ist, das Richtige zu sagen. Mehr zu sagen als nur das standardmäßige Herzliches Beileid. Wir müssen das doch wissen mit unserem guten Draht nach oben.

Und es gibt tatsächlich Menschen, gerade unter Christen, die haben immer eine Antwort parat. Die wissen nicht nur warum, sondern auch wozu. Ich weiß nicht, wie es mit Ihnen ist, aber wenn ich einen geliebten Menschen verloren hätte und meine Welt in Scherben liegt, und da kommt einer mit so einer schnellen Antwort auf mein „Warum?“ daher, ich würde ihn achtkantig rausschmeißen, diesen Gottprotz.

Liebe Gemeinde, wir wollen nicht übertreiben. So sind wir natürlich nicht, so gottprotzig. Wir wissen, dass die Bibel etwas anderes ist als eine Sammlung von Textbausteinen, die sich automatisch und nahtlos in jede Lebenssituation einfügen lassen. Nein, wir sind keine Gottprotze. Ich muss an Hiob denken. Als ihn die sogenannten Hiobsbotschaften erreichen, ein Unglück nach dem anderen trifft, als seine Welt Stück für Stück zusammenbricht, da fragt Hiob Gott und die Welt: „Warum? Warum ich? Was habe ich getan?“ Drei Freunde besuchen ihn in seiner Not „und sie weinten … und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.“ (Hiob 3,12f.) Sieben Tage und sieben Nächte sagen sie nichts, versuchen gar nicht erst, den Untröstlichen zu trösten.

Dann schreit Hiob seinen Schmerz heraus: „Warum bin ich nicht gestorben am Tag meiner Geburt?“(Hiob 3,11) Doch dazu können die Freunde nicht mehr schweigen. Ab dem 4. Kapitel im Buch Hiob wird geantwortet. Geschlagene 33 (!) Kapitel reden die Freunde mit Hiob, reden auf ihn ein, reden gegen ihn an, versuchen zu trösten, zu erklären, zu rechtfertigen. Und ich kann sie so gut verstehen: ihren Wunsch, das „Richtige“ zu sagen, das Wort, das den Schmerz lindert, das das Entsetzliche irgendwie begreifbar macht. 33 Kapitel lang reden sie. Wir müssen doch was sagen! denken sie. Das kann man so doch nicht stehen lassen: das unerklärliche Leid eines so guten und gerechten Menschen.

Warum eigentlich nicht, liebe Gemeinde? Warum kann man das Leid eigentlich nicht so einfach stehen lassen? Nicht nur Hiobs Freunde, auch wir, wir wollen doch in solchen Situationen nicht allein den Untröstlichen trösten, sondern zugleich auch uns selbst. Wir wollen nicht allein das Unbegreifbare begreiflicher machen, sondern zugleich unser eigenes Gottesbild über die Katastrophe retten. Denn manchmal, da glauben wir schon zu wissen, wie Gott ist und zu sein hat.

Der Apostel Paulus predigt in unserem Text einen anderen Gott, einen gekreuzigten Gott, bei dem die Welt mit ihrer Weisheit am Ende ist.

Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit, schreibt er, wörtlich: ein „Skandal“ all denen, die zu wissen meinen, wie Gott funktioniert. Liebe Gemeinde, inwieweit empfinden wir heute das Kreuz noch als Skandal? Lassen uns noch von ihm provozieren? Paulus redet für das Kreuz, nicht als Markenzeichen für Briefbögen und Kirchtürme, sondern als Fundament von allem, was wir hoffen und denken. Unser gesamter Glaube wird aufs Kreuz gelegt. An diesem Kreuz endet die Religion wie wir sie kennen: Denn mit dem Kreuz sind wir am Ende aller Weisheit. Christus selbst stirbt mit dem „Warum?“ auf den Lippen. Und auf Golgatha kommt leider keine Stimme aus dem Himmel, die einmal kurz erklärt, warum das alles.

Das Wort vom Kreuz ist schlichtweg ein Skandal, denn es lehrt: Du hast die Weltformel nicht in der Hand, auch nicht dein Leben, schon gar nicht deinen Gott. Du hast keine Antwort auf das „Warum?“. Hat sich was „mit gutem Draht“! Christenmenschen sind im Grunde absolut ahnungslose Menschen, so heilsgewiss, vollmundig und verblüffungsfest manch einer auch daherkommen mag.

Na großartig, mögen Sie jetzt denken, liebe Gemeinde. Da zahle ich seit Jahrzehnten Kirchensteuer und nun sagt der Pastor, dass er von nichts eine Ahnung hat. Was soll mir da noch das Christentum? Was nützt es? Was taugt es? Nur eines, liebe Gemeinde: Es bewahrt uns vor zu schnellen Antworten. Das Wort vom Kreuz heißt: Hier bist du am Ende deiner Weisheit. Und du darfst es sein.

Du musst nicht auf alles eine Antwort haben. Du musst nicht jedes „Warum?“ erklären. Du musst weder deine Welt noch deinen Gott retten in all deinen verzweifelten Erklärungsversuchen. Das ist furchtbar unbefriedigend. Das bringt einen wirklich an den Rand. Das ist ein Skandal: Da ist jemand, der ist größer als du. Vor dem stehen wir mit leeren Händen am Ende unserer Weisheit. Das einzige, was wir tun können, ist, uns ihm anzuvertrauen, ist zu hoffen, dass wir nicht tiefer fallen können als in seine Hand. Leider weiß niemand, wie „der da oben“ wirklich funktioniert. Und darum können wir nicht einmal sagen, ob „er da oben“ verstehbare Antworten für „uns da unten“ hat. Ich kann nicht erklären, warum ein Mensch stirbt, aber ich darf für mich hoffen, wohin er stirbt. Auferstehung: Das ist Gottes Antwort auf das Warum des Kreuzes von Golgatha. Ich kann nicht jedes „Warum?“ erklären. Und ich muss es auch nicht. Denn ich bin nicht Gott. Das entlastet, zumindest mich, wenn ich in ein Haus muss, in dem furchtbares Leid geschehen ist. Ich kann da nicht einfach so Gott ins Spiel und Licht ins Dunkel bringen. Denn ich habe Gott nicht. Gott hat mich.

Was in solchen Situationen bleibt, das sind ganz banale Dinge: Manchmal die eigene Überforderung eingestehen, Kaffee kochen, zuhören, schweigen, weinen, beten, die Wut auf einen so unbegreiflichen Gott teilen, das Leid mit aushalten. „Was das noch mit Gott zu tun hat?“ fragen Sie? So hat sich Gott dem Menschen in Jesus Christus zugewandt: Gott erscheint auf Augenhöhe mit dem Menschen, in der Solidarität, in der Erschütterung, im Mit-Leid. So ist Gott uns nahe und wir dürfen hoffen: Wir sind Gott nahe. Da braucht es keinen guten Draht nach oben, wenn Gott auf Augenhöhe zu uns kommt. Da dürfen wir hoffen: Er ist unter uns und hält, trägt, macht Mut. Das Wort vom Kreuz ist Torheit, denn es ist nicht die alles erklärende Paradeantwort, hinter der wir sicher sind. Es stellt uns mehr Fragen, als es Antworten gibt, es lockt uns heraus und lässt uns Gott auch dort suchen, wo kein Mensch der Welt ihn vermutet.

Amen.