HimmelsAnker Nr. 39 vom 06.12.20

Ein besonderes Datum: Der 6. Dezember

Himmelsanker zum 6. Dezember 2020

Als ich ein Kind war, hatte ich ein bisschen Angst vor ihm. Als Junge hätte ich nur überlegen gelächelt, wenn man mich gefragt hätte, ob ich an ihn glaube. Und als Erwachsener habe ich ihn eigentlich nie ernst genommen. Erst in der letzten Zeit bin ich ihm ein bisschen näher gekommen, deswegen möchte ich heute von ihm erzählen.

Der 6. Dezember ist sein Tag. Sein Todestag. Schon das finde ich bemerkenswert: An sicheren Daten gibt es nämlich von diesem Mann kaum mehr als eben das Todesdatum.
Vor rund 1600 Jahren hat er gelebt, in einer kleinen Stadt an der türkischen Südküste. Er hat nichts Schriftliches hinterlassen, keine bedeutenden Aussprüche sind von ihm überliefert. Aber doch: Obwohl es von diesem Menschen so gut wie nichts sicheres historisch Verbürgtes zu berichten gibt, kennt ihn jedes Kind.

Sie wissen es ja längst, ich rede vom Nikolaus, Bischof von Myra im 4. Jahrhundert. In diesem Jahrhundert schickte sich das Christentum an, die Herrschaft im römischen Reich anzutreten.
Leider begann mit dieser Machtübernahme durch das Christentum auch die Geschichte der christlichen Intoleranz, der Unterdrückung und Verfolgung der jeweils Andersgläubigen. Macht ist Christinnen und Christen selten bekömmlich gewesen. Ich las, im Streit um den rechten Christusglauben seien mehr Menschen christlichen Glaubens von Christen verfolgt, vertrieben und umgebracht worden als von Andersgläubigen. Vor allem aber hatten Juden und Jüdinnen unter der Herrschaft des Christentums zu leiden und all diejenigen, die von der herrschenden Lehre abwichen.

Der Mann, von dem ich erzählen möchte, hatte mit diesen Verwicklungen wenig oder gar nichts zu tun. Ihm ging es nicht so sehr um richtige Glaubenssätze. Ihm kam es darauf an, als Christ zu leben.
Wenn es über Bischof Nikolaus auch keine gesicherten Nachrichten gibt, so gibt es doch eine Menge an Legenden, die man sich über ihn erzählen kann.

Manches Erzählte klingt in unseren Ohren, die die Sprache der Legenden nicht gewohnt sind, höchst seltsam. Wenn z.B. berichtet wird, Nikolaus habe schon am Tag seiner Geburt aufrecht in der Badewanne gestanden. Oder dass er standhaft am wöchentlichen Fastentag die mütterliche Brust verweigert habe. Das sind natürlich volkstümliche Hinweise auf die spätere Bedeutung dieses Kindes.

Er sei ein Sohn reicher Leute gewesen, heißt es. Und er habe als junger Mann seine Probleme mit dem ererbten Wohlstand gehabt. Dass bis heute goldene Nüsse zur Ausstattung aller richtigen Nikoläuse gehören, das kommt von der Erzählung, wie der reiche Junge Nikolaus heimlich und bei Nacht drei Goldklumpen durch das Fenster einer Wohnung warf, in der ein Vater verzweifeln wollte, weil er seinen drei Töchtern keine Mitgift und also auch keine Ehemänner verschaffen konnte.

Unerkannt wollte der bescheidene Nikolaus bleiben. So war er ganz bestürzt, als er eines frühen Morgens in die Kirche ging, kurzerhand vom Erzbischof ergriffen und zum Bischof von Myra geweiht wurde. Der Erzbischof hatte nämlich in der Nacht eine Stimme gehört, er habe den künftigen Bischof in demjenigen zu erkennen, der am Morgen als erster zum Gottesdienst käme. Als Bischof - in schlechtem Latein heißt das übrigens SPECULATIUS - wurde Nikolaus ein besonderer Freund der Jugend und ein Helfer für alle Bedrängten.

Und da gibt es in den alten Texten eine Fülle von Berichten, die Nikolaus nicht nur als Wundertäter, sondern auch als einen ungewöhnlich mutigen Mann schildern.
Besonders eindrücklich wird beschrieben, dass der beherzte Bischof sich nach Kräften einmischt, wo immer es gilt, Unrecht beim Namen zu nennen und zu verhüten. So entreißt er auf einem alten Bild dem Scharfrichter das Schwert, als der drei unschuldige junge Männer töten will. Und den für diesen Justizmord verantwortlichen Statthalter staucht Nikolaus mit recht groben Worten zusammen. Für die Unterdrückten und Benachteiligten Partei zu ergreifen, das war nach Meinung Nikolaus' der Sinn und die Aufgabe des Christentums.
So gibt Nikolaus in einer Legende auch einem Juden Hilfe, indem er ihn vor einem christlichen Betrüger rettete.

Die schönste Nikolaus-Geschichte stammt aus einer Zeit, da die die Kirche schon zu beträchtlichem Einfluss und Reichtum gekommen war:
Als die Stadt Myra einmal von Seeräubern überfallen wurde, verlangten diese, dass eines ihrer Boote von der Bevölkerung mit Gold zu füllen sei. Sonst würden sie statt des Goldes die Kinder der Stadt nehmen und in die Sklaverei verkaufen. Der Jammer war groß, denn das Boot wurde natürlich von den paar Ringen und Ketten der armen Frauen nicht voll. Schon mussten die hilflosen Eltern mit ansehen, wie ihre Kinder von den Seeräubern eingefangen und zum Schiff verschleppt wurden. Da, in der größten Not, öffnet sich die Kirchentür. Heraus tritt Bischof Nikolaus mit seinen Diakonen, beladen mit goldenen Leuchtern und Kelchen und Kruzifixen. Mit diesem Schatz seiner Kirche füllt er das Boot der Räuber, um die Kinder zu retten.

Ein Wunder? Eigentlich nicht; und doch ja: ein Wunder wäre eine Kirche, die das ihre dran gibt, um gefährdete Menschen zu retten. - Der Schatz der Kirche - das können wie damals wertvolle Gegenstände sein. Es könnte sich aber auch um kirchliche Privilegien, Vorrechte, um Überlieferungen und Vorurteile handeln, die eine gottgeliebte, menschenfreundliche Kirche aufgibt, um Menschen aus Gefahr zu retten, ihnen Freiheit zu verschaffen.

Wenn Sie mich also fragen würden, ob ich an den Nikolaus glaube - früher hätte ich bloß gelacht. Neuerdings denke ich fast, wir sollten an den Nikolaus glauben: an solche Nikoläuse, die anderen deutlich machen, was Weihnachten eigentlich soll:
Menschwerdung Gottes - das klingt so schwierig. Darüber haben sie sich damals schon, im 4. Jahrhundert gestritten und geprügelt. Um die Göttlichkeit Jesu, die Jungfräulichkeit Marias - ob man dies als Christin oder Christ unbedingt glauben müsse...  Den Bischof Nikolaus hat das nicht interessiert. Menschwerdung Gottes, das war für ihn eine ziemlich klare Sache: dass Gott immer dort sein will, wo Menschen in Not sind und Hilfe brauchen. Und dass Gott dazu nicht nur einen Mann mit Namen Jesus braucht, sondern in seinem Gefolge viele Menschen. Verbindungsleute zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und der Menschheit, die Gott so sehr braucht.



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