HimmelsAnker Nr. 89 vom 07.11.21

HimmelsAnker zum drittletzten Sonntag des Kirchenjahres | Psalm 85

Beten hilft!

Das hatte jemand auf seiner Cappie stehen. Ich war völlig überrascht. Sowas auf einem Festival zu sehen. Zwischen lauter Musik und lauter Leuten, steht da plötzlich „Beten hilft!“ vor der Stirn von jemandem.

„Coole Mütze!“ sagte ich ihm. Er grinste und bedankte sich. Und wir haben noch ein Foto zusammen gemacht. Dann sind wir unsrer Wege gegangen. „Beten hilft!“ Ob er das ernst gemeint hat? Oder war das ironisch gemeint? Und wieso frage ich mich, der ich Pfarrer bin, ob das nur ein Scherz ist?!

Vielleicht liegt es daran, dass man da im Alltag nicht drüber spricht. Über das Beten. Schon gar nicht bei einem Musik-Festival. Da heißt es doch vielleicht eher „Bier statt Beten“ oder so. Beten gehört für viele nicht zum Alltag dazu. Das ist dann eher etwas Befremdliches. Manchmal befürchte ich auch, nur belächelt zu werden, wenn ich sage: Ich bete zu Gott.

Und ich gebe zu: Von außen betrachtet wirkt Beten ja auch ziemlich merkwürdig. Da faltet jemand die Hände und spricht mit jemandem, den man nicht sehen kann. Das ist doch verrückt! Das bringt doch auch gar nichts. Ich habe im Internet sogar einen Artikel dazu gefunden. Da wurde doch tatsächlich mit wissenschaftlichen Methoden untersucht, ob Beten hilft oder nicht. Das finde ich wiederum irgendwie verrückt. Das Ergebnis war jedenfalls, dass Beten keinen wissenschaftlich nachweisbaren Effekt hat.

Man kann Beten also für verrückt und unnütz halten. Wenn ich da an das Festival zurückdenke, fallen mir aber noch viel mehr Sachen ein, die verrückt und unnütz sind. Und verrückte und unnütze Dinge gibt’s ja leider nicht nur auf Festivals …

Ich sehe das übrigens anders. Ich halte Beten nicht für verrückt und unnütz. Das überrascht Sie jetzt wahrscheinlich nicht sehr. Schließlich bin ich ja hier oft derjenige, der zum Beten aufruft. Und das mache ich auch gerne und aus Überzeugung.

Denn Beten hilft! Und das meine ich ernst. Im Gebet kann ich ich sein.
Ganz so, wie ich bin. Ich stehe da ganz allein vor Gott. Ich brauche mich nicht zu verstellen. Ich schütte mein Herz aus, zweifele, beklage und beschwere mich oder freue und bedanke mich. Und manchmal auch alles gleichzeitig.
Und Gott hört zu. Auch wenn ich mich verspreche, verhaspele, mir widerspreche: Gott versteht mich.
Neulich nach einem Taufgottesdienst fragte mich ein junger Mann: „Herr Pfarrer, wie betet man richtig?“ Ich war überrascht über die Frage, aber sie gefiel mir sofort. Ich sagte: „Wichtig ist, dass es von Herzen kommt. Die Worte sind gar nicht so wichtig. Gott weiß, was in uns vorgeht. Und wenn einem die Worte nicht selber einfallen wollen, kann man sich einfach Worte leihen.
Wie beim Vater unser oder beim Psalm beten.“

Und da bin ich dann auch bei dem Grund angekommen, warum ich heute übers Beten spreche. Predigttext ist nämlich der Wochenpsalm, Psalm 85. Einer von 150 Psalmen, die in der Bibel stehen. Das sind Gebete und Lieder, die schon seit vielen, vielen Jahren, in verschiedensten Sprachen auf der ganzen Welt gebetet werden. Psalm 85 spricht davon, dass

„Güte und Treue einander begegnen,
Gerechtigkeit und Friede sich küssen;“

Auch das klingt verrückt in einer Welt, in der es so furchtbar ungerecht zuzugehen scheint. Aber diese Verrücktheit, diese Vorstellung, diese Hoffnung tut unglaublich gut. Wenn wir nicht den Wunsch und die Idee hätten, dass Gott andere Pläne hat, als seine Schöpfung in Unfrieden und Ungerechtigkeit versinken zu lassen, ich glaube, dann würden wir wirklich verrückt werden. Denn ohne diese Hoffnung ist die Welt jetzt schon verloren. Auch wenn es verrückt klingt: Beten hilft! Beten stärkt die Beziehungen zwischen uns und zwischen Gott und uns. Beten stärkt den Glauben an eine gerechtere Welt.
Beten macht Hoffnung. Und ohne Hoffnung geht es nicht.