HimmelsAnker Nr. 54 vom 14.03.21

Widerspruch

„Ich bin überzeugt:
Das Leid, das wir gegenwärtig erleben, steht in keinem Verhältnis zu der Herrlichkeit, die uns erwartet. Gott wird sie uns offenbar machen.“  (Römerbrief 8,18)

Davon, lieber Paulus, bin ich überhaupt nicht überzeugt.
Ich kenne Menschen, die so sehr unter ihrer augenblicklichen Lebenssituation leiden, dass ich sie nicht mit der Hoffnung auf ein fernes Jenseits nach dem Tod vertrösten würde. Wie könnte ich die junge Frau, die eine kurze Zeit nach der Trauung ihren Ehemann beerdigen muss, mit einer zukünftigen Herrlichkeit trösten?
Deine Worte sind auch nicht besonders hilfreich, wenn ich an den Jugendlichen denke, der 30 Bewerbungen geschrieben hat und während der Corona-Pandemie noch immer keine Lehrstelle hat.

Und, noch eins – ich mag Leute einfach nicht, die alles auf die Zeit nach dem Tod verschieben. Heute – hier und jetzt – findet das Leben statt. Und wenn ich leide, will ich auch im Leiden wahrgenommen werden. Darin sehe ich übrigens eine wichtige Aufgabe der Kirche, Menschen in ihrem Leid wahrzunehmen und sie zu begleiten. Ich will in solchen Situationen trösten – und nicht vertrösten. Ich will nicht sagen: „Das wird schon wieder.“
Manchmal wird es eben nicht wieder – jedenfalls nicht so, wie es war.

Die Leiden dieser Zeit wiegen schwer. Und mir liegt daran, dass die „Lebenswaage“ wieder ins Lot kommt. Ich denke, das braucht Zeit. Nach einem schweren Schicksalsschlag wächst das Vertrauen nur langsam wieder. Da passen eher Worte wie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Diese Worte Jesu am Kreuz sind mir näher, wenn ich sehe, was andere ertragen müssen. Sie sind mir näher, wenn mein Leiden selbst so groß ist.

Doch im Neuen Testament gibt es die Berichte von der Kreuzigung Jesu nur zusammen mit den Deutungen seiner Auferstehung! Karfreitag wird immer von Ostern her betrachtet! Und dann darf ich darauf vertrauen: Gott hat Jesus nicht allein gelassen - Und so wird er auch uns nicht allein lassen.

Ein mir unbekannter Mensch hat das einmal so ausgedrückt:

Als ich dachte, ich würde den Schmerz nicht aushalten, sagte ich zu Gott:
Wenn es dich gibt, dann musst du dich zeigen – jetzt.
Keine Diskussion.
Sei da und tu, was du kannst.
Die einzige Möglichkeit, an dich zu glauben ist, dass du diesen Schmerz genauso wenig willst wie ich.
Dann sind wir auf der gleichen Seite.

Ich glaube, dass Gott mit mir weinte und mit mir schrie.
Aber er hielt auch mein Herz.

Ich weiß nicht, wie er es machte,
aber ich kam durch den Schmerz hindurch.
Nicht unversehrt.
Aber lebendig.
Ich weiß nicht, wie das möglich war.
Vielleicht, weil wir zu zweit waren.

Sei bei mir und halte mich fest, Gott.
Sei bei mir und halte mich fest.
Sei bei mir und halte mich aus.