HimmelsAnker Nr. 78 vom 15.08.21

Apostelgeschichte 17,27

Ich zitiere einen Satz aus der berühmten Areopagrede des Paulus, wie er uns in der Apostelgeschichte überliefert wird. Paulus steht dabei auf dem Areopag, einem erhöhten Felsen in der Nähe der Akropolis in Athen, und erzählt den Zuhörenden von Gott, an den er glaubt:

„Gott wollte, dass die Menschen nach ihm suchen – ob sie ihn vielleicht spüren oder entdecken können. Denn niemandem von uns ist Gott fern. Durch Gott leben wir doch, bewegen wir uns und haben unser Dasein.“

Beim Lesen dieses Satzes muss ich an mich halten, um nicht spontan wie in einem Loriot-Sketch auszurufen: „Ach was!?“
Dieses „Ach was!?“ verwendete Loriot in seinen Sketchen häufig als Reaktion auf völlig banale Aussagen seines jeweiligen Gegenübers. Er selbst wirkte dabei wie aus einer anderen Welt und war erstaunt und entrüstet zugleich.
„Ach was!?“ war bei Loriot eine Reaktion darauf, wenn einer belanglosen Aussage in einem Gespräch mehr Bedeutung beigemessen wurde, als es sachlich berechtigt schien.

Bei Loriot war dieses „Ach was!?“ auch ein Signalwort für das Scheitern und den Zusammenbruch der zwischenmenschlichen Kommunikation. Es war der Augenblick, in dem klar war, dass da zwei Menschen völlig aneinander vorbeigeredet haben. Das ist tragisch und komisch zugleich.
Wann immer man es wieder sieht: Es darf gelacht werden.

Paulus legt sich mit seiner Areopag-Rede schwer ins Zeug.
„Gott wollte, dass die Menschen nach ihm suchen – ob sie ihn vielleicht spüren oder entdecken können. Denn niemandem von uns ist Gott fern. Durch Gott leben wir doch, bewegen wir uns und haben unser Dasein.“

Ich kann mir gut vorstellen, dass er ausgerechnet mit diesem Satz ein nachhaltig überzeugtes „Ach was!?“ erntet bei allen, die ihm gerade zuhörten. Gut vorstellbar, dass da auch der eine oder andere Lacher zu hören war.
Eigentlich ist dieser Satz das Dokument eines gescheiterten Verständigungsversuchs.
Mag sein, dass Paulus dieser Satz beim Schreiben der Apostelgeschichte in den Mund gelegt wurde. Doch der Brückenschlag, den dieser Satz zur Glaubenswelt der damaligen Zuhörenden schlagen soll, misslingt. Die Brücke der Verständigung trägt nicht. Sie kann nicht tragen. Sie trägt auch heute nicht, wenn ich meine, einem Menschen mit einer gewissen oder eher ungewissen Gottesvorstellung auf diese Weise Gott nahebringen zu können. Dieser Satz macht die ungewissen Gottesvorstellungen nicht deutlicher, vermag auch nur nebulös zu beschreiben. Ich denke, es stimmt schon: Als Verdeutlichungsversuch wird dieser Satz für viele damals und wohl auch heute gescheitert sein.
Warum denke ich das?

In unserem Glauben an Gott machen wir doch mindestens zwei Erfahrungen:
Die Erfahrung der Nähe Gottes und die Erfahrung der Abwesenheit, des Fern-Seins Gottes.
Ich denke, nur wenn ich von beiden Erfahrungen erzählen kann, werden mögliche Zuhörerinnen und Zuhörer ernst genommen mit ihren Fragen über den Glauben an Gott und die Welt. Die Erfahrung von Nähe mache ich nur mit einem klaren Gegenüber.
Martin Luther hat diesen Satz damals so übersetzt:
„Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir.“

Mag sein, dass diese Worte poetisch sind, aber als Metapher taugen sie auch nicht wirklich. Das mit dem „leben und weben“ täuscht Verschmelzung vor und lässt ein Gegenüber nicht zu. Ein solcher Gott wäre nicht spürbar oder erfahrbar. Ich kann mich auch nicht an ihm reiben. Ein Gott, in dem ich lebe und webe und bin, lässt mich in den konkreten Fragen meiner Lebensbewältigung noch mehr im Stich als ein abwesender Gott, nach dem ich verzweifelt schreien kann.

Ich wünschte mir sehr, meine Erfahrungen im Glauben an Gott mit Menschen teilen zu können, sie ihnen nachvollziehbar mitteilen zu können. Und zwar auch mit Menschen, die meine christliche Perspektive nicht teilen. Denn meine Erfahrungen unterscheiden sich nicht von denen anderer Menschen. Wie jeder Mensch habe ich meine Sorgen und Ängste, habe ich Herzenswünsche, bin verzweifelt, habe Hoffnungen, erlebe Gelingen und Scheitern und spüre meine Grenzen. Das alles kann ich mit anderen teilen. Wenn ich das tue, bin ich zugleich ganz bei mir und bei vielen anderen.

Paulus hätte es eigentlich nicht nötig gehabt, die Athener Hinterhöfe nach brauchbaren weltanschaulichen Alternativen abzusuchen.
Ich meine das sagen zu können, weil er wiederholt in seinen Briefen einen anderen Weg der Verständigung wählt. Dort gibt es viele Passagen, in denen er seine Erfahrung, seinen Überlebenskampf, seine Grenzen, sein Scheitern teilt und mit seinem Glauben an Gott in Verbindung bringt.

Die Brücke zu anderen Menschen führt über die geteilte Erfahrung. Wer Erfahrung teilt, öffnet sich für andere und ermöglicht es anderen, sich zu öffnen. Wer Ansichten vertritt, errichtet Mauern.
So könnte der Verständigungsversuch aus der Apostelgeschichte der Hinweis darauf sein, was man besser bleiben lässt und was man stattdessen tun kann, wenn man möchte, dass die eigenen Worte eine Brücke zum „Du“ werden. Man kann es ja mal ausprobieren.