HimmelsAnker Nr. 23 vom 16.08.20

Shalom!

Mit diesem jüdischen Gruß möchte ich den heutigen Himmelsanker einleiten.  In dieser Woche feiern wir den sogenannten Israelsonntag. Der 10. Sonntag nach Trinitatis soll jedes Jahr dazu dienen, ein besonderes Augenmerk auf das Volk Israel zu werfen. Er soll auf die Verbundenheit zwischen der Kirche und Israel hinweisen. Aber er soll auch ein Gedenktag sein. Ein Tag an dem wir daran denken, was für schreckliche Dinge den Jüdinnen und Juden in diesem Land angetan wurden und leider auch heute noch angetan werden.

Liebe Gemeinde,

einer der bekannteren Protagonisten in der Bibel ist Paulus. Paulus geht in seinen Briefen immer wieder auf Fragen ein, die sich die Menschen zu seiner Zeit gestellt haben. Dabei scheint ihm eine Frage besonders wichtig zu sein: Die Frage, wie zur damaligen Zeit als Christusgläubiger mit den Juden und Jüdinnen umgegangen werden soll. Paulus selbst war ein Jude, der sich streng an die Gebote des Judentum gehalten hat. Er war nämlich Pharisäer, bevor er Christus selbst begegnet ist und so zu einem Christusgläubigen wurde. Die Fragen, die sich die Menschen zur damaligen Zeit gestellt haben, sind mir nicht fremd. Ich stelle mir vor, dass das es folgende Fragen waren, die die Menschen umgetrieben hat: Wie sollen wir denn jetzt mit unseren jüdischen Mitmenschen umgehen? Sollen wir etwa versuchen sie zu missionieren? Oder sollen wir sie einfach als Wurzel unserer eigenen Religion sehen, die es aber nun mit Christus besser weiß? In welchem Zusammenhang stehen wir noch mit den Juden und Jüdinnen? Ich finde diese Fragen liegen auch heute noch nahe und ich möchte versuchen mit Paulus einige Antworten zu finden:

Paulus hat auch Juden und Jüdinnen missioniert, so schreibt er es jedenfalls in seinen Briefen. Aber er war sich bewusst, dass viele Juden und Jüdinnen sich nicht zum Christentum bekennen würden und weiterhin ihre Religion behalten würden. Für mich gelten die Aussagen von Paulus an dieser Stelle als Aufruf zum respektvollen und auch solidarischen Umgang mit unseren jüdischen Mitmenschen. Mission ist dabei zum Glück kein Thema mehr. Für mich persönlich trennt mein Glaube an Jesus Christus als Gottes Sohn mich von dem Glauben unserer jüdischen Mitmenschen. Das Wissen um den Ursprung der Zusage Gottes, die sowohl uns als auch den Jüdinnen und Juden gilt, schafft für mich allerdings einen untrennbaren Zusammenhalt, der es ermöglicht auch im Glauben gemeinsame Wege zu gehen.      

Paulus erkennt die jüdischen Wurzeln des Christentums an. Dennoch gibt er keine direkte Antwort darauf, wie Gottes Plan aussieht das jüdische Volk und das christliche Volk im Glauben zusammenzubringen. Vermutlich, weil er es selbst nicht weiß. Aber er vertraut auf Gott und ist sich sicher, dass Gott alle Menschen im Blick behält. Er bietet dafür meiner Meinung nach einen cleveren Lösungsansatz und sagt im letzten Vers des Predigttextes von Sonntag: „Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.“ Alle Menschen sind ungehorsam und sind darauf angewiesen, dass Gott sich ihrer erbarmt. Wir alle machen schließlich Fehler, egal ob wir Juden und Jüdinnen sind oder Christinnen und Christen.  Somit hat Gott uns alle in seine multinationale Bundesfamilie aufgenommen und wird sich unser erbarmen. Mit diesem Wissen fällt es mir leichter anzuerkennen, dass wir alle zu einer großen Familie gehören. In einer Familie gilt es auch für den anderen da zu sein. Gerade in Bezug zu unseren jüdischen Mitmenschen, die ja deutlich in der Minderheit sind, gilt es da auch solidarisch zu sein, wenn andere Menschen Antisemitismus verbreiten wollen. In einer Familie geht es aber auch darum sich für den anderen zu interessieren. Fragen zu stellen, wenn einem religiöse Praktiken fremd und vielleicht sogar komisch vorkommen. In einer Familie gilt es füreinander da zu sein, ohne den anderen zu bevormunden. Ich finde, dass Paulus an dieser Stelle die Gemeinsamkeit, nämlich die Familienzugehörigkeit zum Gottesvolk, über alle Unterschiede stellt. Und das ist auch gut so.
In diesem Sinne: Shalom! Friede sei mit uns allen.

Amen    

Ihre Vikarin Alica Baron-Opsölder

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