HimmelsAnker Nr. 41 vom 20.12.20

Himmelsanker am 4. Advent

Statt eigener Worte gibt es zum 4. Advent eine Geschichte von Anne Smidt und Franz Posch, die ein dänischer Journalist „eine Geschichte über das Leben in Zeiten des Coronavirus“ nannte. Aber eigentlich ist sie vor allem

Eine Liebesgeschichte

Die beiden leben in einem kleinen Haus in der Nähe von Aarhus, gemeinsam mit einem Hamster, einem Kaninchen und einem Hund. Franz Posch ist 27 Jahre alt. Er spielt Gitarre in einer Death-Metal Band. Anne Smid hört mehr Techno und die Klassiker der 1960er Jahre. Sie liebt Reisen und Sport, ihre Instagram-Bilder zeigen sie beim Mountainbiken, Reiten und Klettern. Anne ist am Samstag 29 Jahre alt geworden. Sie selbst sagt, es sei wahrscheinlich ihr letzter Geburtstag gewesen.

Franz macht ihr einen Heiratsantrag während einer kurzen London-Reise im vergangenen August. „Es gibt nichts, was ich Anne nicht erzählen könnte“, sagt Franz. „Ich wusste, so jemanden würde ich nicht so leicht wieder finden.“

Eine Sommerhochzeit sollte es werden, in diesem Jahr. Dann aber benachrichtigen sie alle 99 Verwandten und Freunde auf ihrer Gästeliste und verlegen den Termin auf den 21. März, auf Annes Geburtstag. Der Arzt hatte Anne gesagt: „Bis zum Sommer ist noch lange, heiratet lieber früher.“ Die Hochzeit von Anne und Franz kann nicht warten. Denn Anne stirbt.

Sie mieten einen Raum, zwei Bands und das Catering, schrieiben die Tischkarten und packen kleine Geschenktütchen für die Gäste. Anne, die ohne Vater aufgewachsen ist, hat ihren Großvater gebeten, sie zum Altar zu führen und ihm eine Krawattennadel gravieren lassen: „Großvater der Braut“. "Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich ihn weinen sah“, schreibt sie auf Instagram.

Keine drei Wochen später geben die Behörden den ersten Coronavirus-Fall in Dänemark bekannt. Neun Tage vor der Hochzeit erlaubt die Regierung nur noch Veranstaltungen von weniger als 100 Menschen, ein paar Tage später sind nur weniger als zehn gestattet.

Am 15. März lädt Anne bei Instagram ein Foto von sich als „Bride to be“ hoch. Wir haben die  herzzerreißende Entscheidung getroffen, unser Hochzeitsfest abzusagen“, schreibt sie. Das tun in diesen Tagen auch andere Paare: Sie sagen die Säle und den Bands ab, packen das Hochzeitskleid wieder weg und hoffen auf Nach-Corona-Zeiten. Für Anne und Franz ist das keine Option. „Ich bin ein wenig zornig“, schreibt Anne, „wir können nicht einfach ein neues Datum aussuchen.“

Anne hatte schon länger über Schmerzen im Rücken geklagt. In den Weihnachtsferien 2018 dann – Anne und Franz waren da ein halbes Jahr zusammen -  entdeckten die Ärzte bei ihr ein Weichteilsarkom: Einen Tumor an ihrem Rückgrat, der sich in Knochen und Gewebe frisst. „Verdammt unfair und noch immer verdammt unwirklich“, schreibt sie im Januar 2019 nach der Operation, bei der ihr der Tumor und Teile von Wirbeln und Rippen entfernt worden waren.

Anne entschließt sich, auf Instagram über den Krebs und ihren Kampf zu schreiben. Man sieht sie viel lachen auf den Bildern, man sieht auch Franz viel lachen. Ab und zu ein Bild, wie sie sich erschöpft dem Schlaf ergeben. Im Sommer 2019 beginnt die Chemotherapie. Das ist der Sommer, in dem Franz um ihre Hand anhält.

An Weihnachten dann die Nachricht: Der Tumor ist zurück, aggressiv, hat gestreut. Die Ärzte sagen, sie könnten nichts mehr für Anne tun. „Das hält uns nicht davon ab, Pläne zu machen“, schreibt Anne auf Instagram.

Franz´Mutter hat die Idee: Warum nicht ein virtuelles Fest feiern? Zuerst zögern die beiden, dann sagen sie Ja. Die Mutter stürzt sich in die Arbeit, verschickt Tischkarten, Luftballone und Goodie Bags an die Eingeladenen.

Am 21. März, um Punkt drei Uhr nachmittags, ist es soweit. 93 Gäste, alle zu Hause in Corona-Selbstisolation, haben sich eingeloggt zu einer Videokonferenz. Und sie alle tragen die festliche Kleidung, die sie vorbereitet haben. In ihrem Haus sitzen Franz in Anzug und Fliege und Anne ganz in Weiß vor dem katholischen Priester, der die beiden in ihrem Wohnzimmer traut. Außer dem Priester sind lediglich die beiden Mütter und zwei Trauzeugen persönlich zugegen, stets in gebührendem Abstand. „Ich konnte kaum atmen vor Aufregung“, sagt Franz nach der Zeremonie dem dänischen Rundfunk DR. „Die Freude hat mich übermannt.“

Auf Videoaufnahmen sieht man, wie Anne kurz vor dem Ja-Wort beinahe die Beine versagen. Franz hält sie.
Bevor die Party beginnt, gehen die Gäste in die Küchen, um das Entrée, den Caesar Salad und die Thunfischmousse anzurichten, die sie zuvor bei Caterern abgeholt haben. Alle schalten wieder ein, um gemeinsam zu essen, zu scherzen und sich zuzuprosten. Manche Gäste haben Einspieler auf Video vorbereitet: Ein Stück am Klavier, ein gesungenes Lied.

Anne war zuletzt mit einer Gehhilfe gelaufen, aber nun tanzen sie und Franz ihren Hochzeitstanz zu dem Song „Be My Baby“ von den Ronettes. Franz hält eine Rede, in der er Anne sagt, dass in all den schweren Monaten sie seine größte Stütze gewesen sei. „Anne macht es einem einfach, Anne zu lieben.“

Sie weinen und sie lachen, sie werfen den Brautstrauß und losen per Zufallsgenerator auf einer Smartphone-App aus, welche der am Bildschirm versammelten Freundinnen ihn fangen würde. Das Fest dauert bis drei Uhr morgens, dann loggen sich die letzte Gäste aus.

Kai Strittmatter






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