HimmelsAnker Nr. 114 vom 17.04.22 (Ostern)

Ostersonntag 2022

Als der Sabbat vorbei war, kauften Maria aus Magdala, Maria, die Mutter von Jakobus, und Salome duftende Öle. Sie wollten die Totensalbung vornehmen.

Ganz früh am ersten Wochentag kamen sie zum Grab. Die Sonne ging gerade auf. Unterwegs fragten sie sich: „Wer kann uns den Stein vom Grabeingang wegrollen?“

Doch als sie zum Grab aufblickten, sahen sie, dass der große, schwere Stein schon weggerollt war. Sie gingen in die Grabkammer hinein. Dort sahen sie einen jungen Mann auf der rechten Seite sitzen, der ein weißes Gewand trug. Die Frauen erschraken sehr.

Aber sagte zu ihnen: „Ihr braucht euch nicht zu erschrecken. Ihr sucht Jesus aus Nazareth, der gekreuzigt worden ist. Gott hat ihn vom Tod auferweckt, er ist nicht hier. Seht, da ist die Stelle, wo sie ihn hingelegt hatten. Macht euch auf! Sagt es seinen Jüngern und besonders Petrus: Jesus geht euch nach Galiläa voraus. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“

Da flohen die Frauen aus dem Grab und liefen davon. Sie zitterten vor Angst und sagten niemandem etwas, so sehr fürchteten sie sich.

Markus 16, 1 - 8

 

Am Morgen kommt aller Anfang. Am Morgen beginnt der Tag. Am Morgen beginnt das Leben.

Wenn der Himmel wieder hell wird. Wenn das Licht nach dir greift und dich ein hüllt. Wie ein leuchtendes Gewand. Wenn die Farbe des Lebens das Grau der Nacht übermalt.

Am Morgen beginnt das Leben neu. Wenn die Nebel sich lichten. Wenn der Vogel wieder singt.

 

Am Morgen stehst du auf. Und du gehst los.

 

Heute Morgen hast du Blumen dabei. Du willst noch einmal zum Grab. Du willst reden. Und still sein. Und allein sein mit ihm. Und eine Träne lang traurig. Das wird so sein und bleiben. Du weißt das längst. Der Verlust ist da wie deine Fragen. Du bist diesseits der roten Linie. Auch noch an diesem Morgen.

 

Und draußen triffst du die anderen. Aus allen Häusern kommen sie. Alle haben dasselbe Ziel. Mit der Träne und den Blumen. Mit ihnen gehst du wortlos deinen Weg. Die Tage seit gestern haben euch schweigsam gemacht. Das Dunkel der letzten Nacht hat euch beinahe erblinden lassen. Verirrt. Verängstigt. Verrannt. Verloren.

 

Nur das Licht dieses Morgens steht als Wegweiser da. Es ist dein Weg. Immer noch. Du musst dadurch. Entlang der Gräber derer, die bisher im Ukraine-Krieg ihr Leben lassen mussten. Vorbei an der Gräbern, die der Fluss in das Tal der Eifel gerissen hat. Und immer noch weiter auf den Kreuzwegen der Pandemie. Sie sind Verwandte, Freunde, Freundinnen, Menschen. Wie jene, die kein Grab gefunden haben, weil das Meer sie mit sich nahm. Wie das Mädchen, das nur viermal Geburtstag gefeiert hat.

 

Warum dieser Tod? Warum überhaupt?

So fragst du in die Stille hinein. Und warum dieses Kreuz?

 

Und sie fallen dir ein:

Deine unfertigen Antworten von Schuld und Vergebung. Vom Willen des Menschen und seiner unheilbringenden Kraft. Von Erlösung und Befreiung. Doch du kriegst das nicht zusammen mit den Ertrunkenen im Mittelmeer, mit den toten Soldaten und toten Zivilisten.

Mit den Geräuschen, die du von der Intensivstation hörst.

Und je länger du fragst, umso mehr erkennst du: Diesseits der roten Linie wird die Antwort nicht zu finden sein. Diesseits der roten Linie ist nur der antwortlose Tod.

 

Als ihr ankommt, steht das Tor weit offen. Als ob eine rote Linie euch hindurchführt. War ja klar, denkst du mit einem Lächeln.

Das Licht des Tages hat die Mauerkrone erreicht. Ein bisschen geblendet stehst du da.

Der Morgen ist kühl. Und der Vogel singt dir sein Lied. Die Bilder verschwimmen vor den Augen. Hier, im Windhauch des Lebens.

Du siehst sie vor dir. Den Stein, der deinen Weg versperrt hat, und wie er dir vom Herzen rollt. Den Ort, wo sie ihn hingelegt hatten. Der Ort, weswegen du hier bist. Die Vorstellung von jener Gestalt im weißen Gewand, wie sie gerade den Grabstein berührt.

Und das Bild von den drei Frauen, die davonlaufen, als würden sie um ihr Leben rennen.

Und du hörst, was du nicht verstehst: „Nein, er ist nicht hier.“

Du musst weitersuchen, sagt die Stimme in dir. Und die Suche beginnt.  Jetzt, an diesem Morgen.

Die Suche nach ihm. Entlang der roten Linie. Die Spuren hast du entdeckt. Immer noch diesseits, führen sie dennoch von hier fort. Sie führen von hier weiter.

Die rote Linie bleibt, was sie ist. Deine Füße kommen aus eigener Kraft nicht darüber hinweg. Das macht dir Angst – immer noch.

 

Du wirst Osterhilfe brauchen. Ostern endet nicht mit der Angst. Und deine Hoffnung, die schafft den Sprung. Seit genau diesem Morgen. Seit dieser Weg da ist, der hinter dem Friedhof weiterführt. Und der Name des Lebens: Jesus von Nazareth. Wo wird er zu finden sein – der Auferstandene?

 

Auferstehung heißt, dass das Leben Vorrang hat. Auch hier – im Diesseits.

So viel hast du von der roten Linie verstanden.

Auferstehung heißt, für das Leben zu laufen und zu den anderen zu gehen. Zurück zu den Menschen.

Auferstehung heißt, einzutreten für das Leben der Menschen. Hände zu reichen. Wunden zu heilen. Tränen zu trocken. Brot zu verschenken. Das hatte er euch gezeigt, als er noch bei euch war. Der Mann mit dem Namen des Lebens.

 

Und dann stehst du auf. Langsam. Zögerlich. Doch die Suche geht weiter. Dein Leben lang.

Es kann gut sein, dass du dich wieder fürchten musst. Unterwegs. Überall.

Weil du die Lüge Lüge nennst. Weil du den Reichtum der einen die Armut der anderen nennst. Weil du den Menschen neben den Menschen stellst – und nicht darüber. Es kann sein, dass sie dich hassen, nur weil du zu lieben versuchst.

Doch Auferstehung heißt mit einem anderem Wort: TROTZDEM!

Die rote Linie löst sich auf. Und das Leben beginnt.

 

Amen.