HimmelsAnker Nr. 79 vom 22.08.21

Liebe Leserinnen und Leser,
ich will sie heute auf eine kleine Reise mitnehmen…

Griechenland, irgendwann nach Jesu Himmelfahrt:

In Korinth gibt’s dicke Luft zwischen den ersten Christusgläubigen. Warum? Na, das Übliche: Unterschiedliche Überzeugungen und Meinungsverschiedenheiten. Die einen wollen lieber auf Petrus' Worte hören. Die andere auf Apollos'. Wieder andere sind Fans von Paulus. Eigentlich sind Petrus, Apollos und Paulus gar nicht gekommen, um berühmt zu werden und verschiedene Lager zu bilden. Aber sie haben nun einmal alle außergewöhnliche Charismen und Fähigkeiten, die die Leute in Korinth bewundern. Apollos soll ja sehr talentiert im Schreiben gewesen sein. Petrus war mehr der Typ, der die Menschen so richtig mitziehen konnte. Eigentlich verständlich, dass sich verschiedene Peergroups herausgebildet haben. Das Problem war allerdings, dass diese Fangruppen die Gemeinde gespalten haben. Einige wollten dann nur noch mit den Leuten der eigenen Gruppe zu tun haben und mieden Treffen und Gottesdienste, die zusammen mit den anderen durchgeführt wurden. Die Anhänger*innen dieser Gruppen hatten dann solche Gedanken und Fragen im Kopf: Was kann ich da schon lernen oder mitnehmen? Ich habe doch hier meine Gruppe, meine Tradition und meine Rituale. Die anderen machen das doch ganz anders. Das ist ungewohnt für mich, ich bleibe lieber hier in meiner gewohnten Umgebung.

Brüder und Schwestern, im Namen unseres Herrn Jesus Christus bitte ich euch: Seid einig und lasst nicht zu, dass sich verschiedene Lager unter euch bilden! Haltet vielmehr zusammen in gleicher Überzeugung und gleicher Meinung.

Szenenwechsel, circa 2000 Jahre später:

Ich diskutiere mit einer Freundin welche Institutionen diese Welt am meisten verbessern würden. Gibt mal wieder dicke Luft. Warum? Na, das übliche: Unterschiedliche Überzeugungen und Meinungsverschiedenheiten. Meine Freundin engagiert sich in einem freien Wohlfahrtsverband. Ich bin als Vikarin überzeugt vom Engagement der Kirche für diese Welt. In unserer Diskussion werfen wir uns solche Fragen und Sätze an den Kopf: Aber die Kirche hat so viel Dreck am Stecken? Ja das stimmt an einigen stellen, aber haben das die Wohlfahrtsverbände etwa nicht? Religion ist sowieso der Grund für so viel Leid. Ach komm, jetzt übertreibst du aber!

Brüder und Schwestern, im Namen unseres Herrn Jesus Christus bitte ich euch: Seid einig und lasst nicht zu, dass sich verschiedene Lager unter euch bilden! Haltet vielmehr zusammen in gleicher Überzeugung und gleicher Meinung.

Bochum, 2019 bis heute:

Zwei Gemeinden werden zu einer. Bochum Gerthe und Bochum Hiltrop. Gibt immer mal wieder dicke Luft. Warum? Na, das übliche: Unterschiedliche Überzeugungen und Meinungsverschiedenheiten.

Gemeindeglieder aus Hiltrop und Gerthe fangen an sich kennenzulernen. Doch das gelingt nur teilweise, weil durch die Pandemie eigentlich alles flachfällt, was geplant war. Gemeinsamer Austausch findet, wenn überhaupt, nur über Videokonferenzen oder Telefon statt. Richtiges Kennenlernen? Fehlanazeige! Es wird geregelt, was geregelt werden muss. Es müssen Entscheidungen getroffen werden. Dabei gibt es solche Fragen und Äußerungen: Wo machen wir denn jetzt was? Hier in Hiltrop haben wir das doch immer so gemacht? Also in Gerthe gibt es aber diese bestimmte Tradition! Sind denn dann gleich viele Leute aus beiden Bezirken dabei?

Brüder und Schwestern, im Namen unseres Herrn Jesus Christus bitte ich euch: Seid einig und lasst nicht zu, dass sich verschiedene Lager unter euch bilden! Haltet vielmehr zusammen in gleicher Überzeugung und gleicher Meinung.

Drei Szenen, dreimal Paulus' Aufruf zum Zusammenhalt und zur Einigkeit. Doch, was meint Paulus damit? Meinungsverschiedenheiten und unterschiedliche Überzeugungen gibt es und wird es immer geben. Manchmal tun sie ja sogar gut, weil dadurch kreative Prozesse so richtig Fahrt aufnehmen. Doch, ich glaube, das meint Paulus nicht.

Es gibt unterschiedliche Überzeugungen, auch bei Themen rund um den Glauben. Aber es muss ein Fundament geben, auf das sich geeinigt werden kann. Ein Band, das eine Gemeinde zusammenhalten muss.

Ich glaube, von diesem Band spricht Paulus an dieser Stelle, aber auch noch mitten in unser Leben und heute hier in diesen Himmelsanker hinein. Er benennt es im Korintherbrief nicht so. Aber er spricht das an, was alle zusammenhalten soll: Das Evangelium, die gute Nachricht, die Idee der Liebe. Paulus geht es an dieser Stelle meiner Meinung nach nicht darum, ob und dass Menschen ihre eigenen Vorstellungen, Gaben, Wünsche oder auch Vorlieben ausleben. Er will von dem erzählen, was Menschen mit Jesus erlebt haben. Er will Jesu Gedanken verbreiten und damit die Idee eines Lebens in Nächstenliebe.

Natürlich hat jeder und jede andere Überzeugungen, Gedanken, Wünsche, Sehnsüchte und Fragen an den Glauben. Das Evangelium macht uns an dieser Stelle aber alle gleich. Denn es hält unseren Glauben zusammen und verbindet uns mit anderen Menschen, und zwar in der Liebe.

Nach Jesu Himmelfahrt ging es Paulus darum, diesen Gedanken an die Menschen weiterzubringen und er wollte Spaltungen durch Lagerbildungen verhindern. Ich glaube, dass dieser Text auch heute noch von Bedeutung für uns ist:

2000 Jahre danach werde ich dazu herausgefordert, andere Menschen und das heißt auch deren Meinungen ernst zu nehmen und zu respektieren. Ihnen mit Respekt zu begegnen und mit Nächstenliebe. Für mich bedeutet das, andere ausreden zu lassen, gewaltfrei zu kommunizieren und mich immer wieder daran zu erinnern, mich selbst zu reflektieren und in meinem Gegenüber den ganzen Menschen und nicht bloß eine Meinung zu sehen.

Amen