HimmelsAnker Nr. 71 vom 27.06.21

Letzte Worte

Wer von Ihnen hat denn schon ein Testament gemacht?
Und meine zweite Frage: Haben Sie darin auch nur wie üblich Ihren Besitz verteilt?
Ein Testament ist ein Zeugnis über mein Leben.
Was ist das für eine Armut, wenn am Ende nur über ein Haus, zwei Sparbücher und die Grabpflege gesprochen wird.

Was soll denn nun bleiben von Ihrem Leben?
Was ist mit Ihren Träumen, mit Ihren Idealen, mit Ihren Erfahrungen?
Was ist mit Ihren Tränen, mit Ihren Enttäuschungen und mit Ihrer Liebe?
Was ist mit Ihrem Glauben?
Jedes Leben ist der Erinnerung wert.
Tausendmal wichtiger als ein Bauplatz und Sparbücher oder Wertpapiere.

Sie kennen sicher Josef und seine Geschichte.
Der Lieblingssohn des Vaters Jakob, beneidet von seinen Brüdern, die ihn aus Ärger über ihn nach Ägypten verkaufen. Ihren Vater täuschen sie mit seinen blutgetränkten Gewändern aufs Übelste. Jakob ist todtraurig.
Josef hingegen macht wider Erwarten in Ägypten Karriere und erhält einen bedeutenden Job beim Pharao. Er berät den Pharao und trifft effektive Vorsorge für eine sich abzeichnende Hungersnot.
Als diese ausbricht, schickt Jakob zehn seiner Söhne nach Ägypten, um beim Pharao um Hilfe zu bitten. Doch diesmal macht Josef Druck, täuscht seine Brüder und gibt sich Ihnen in seiner Funktion als ägyptischer Finanzbeamter und Vertreters des Pharao nicht zu erkennen.
Josef blockt. Und noch einmal macht Josef seinen Brüdern bei einem zweiten Bittbesuch Angst – bis er sich dann doch zu erkennen gibt. Das führt die Familie, den alten Vater Jakob, die Brüder und den einst abgeschobenen Bruder Josef wieder zusammen.
Der alte Jakob bleibt daraufhin für zwei Jahrzehnte in Ägypten. Er teilt seinen Söhnen vor seinem Tod das jeweilige Erbland zu und stirbt. Josef und seine Brüder bestatten ihn in der Grabhöhle Abrahams.

Doch noch immer haben die Brüder Angst: „Hoffentlich ist Josef nicht nachtragend!“

Kennen Sie auch Streit unter Geschwistern beim Erben? Ich glaube, Sie kennen das. Und manche vielleicht aus eigener Erfahrung. Krimis, Dramen, Tragödien handeln davon.

Die Bibel ist ein durch und durch ehrliches Buch. Nichts wird beschönigt oder verschwiegen. Wir lesen von Erfüllung und Enttäuschung, von Bewahrung und Gefährdung, von Weite und von Grenzen, von Einsamkeit, von Schwermut, von Freude, von Lust und Last. Beim Lesen entdecken wir manchmal: „Da wird ja über uns geredet, da sind wir gemeint!“

Manchmal erfahre ich in Trauergesprächen von letzten Wünschen Verstorbener an die Kinder: Sie mögen sich doch bitte vertragen und dafür sorgen, dass die Familie zusammen bleibt.

In alten Lutherübersetzungen wird der letzte Abschnitt der Josefgeschichte mit „Josephs Edelmut“ überschrieben.
Ich mag diese Überschrift nicht – macht sie aus Josef doch einen Helden, der er eigentlich nicht ist.
Er selbst sieht sich auch nicht so, wenn er am Ende sagt: „Fürchtet euch nicht. Bin ich etwa Gott? Ihr hattet Böses für mich geplant. Aber Gott hat es zum Guten gewendet.“
Das ist übrigens die einzige Stelle, an der in der Josefgeschichte Gott genannt wird!

In Familien bis hinein in die Diskussion über mögliche Fehler bei der Bekämpfung der Corona – Pandemie höre ich immer wieder: „Wer hat Schuld? Wer ist verantwortlich für das Dilemma? Wer hat uns das eingebrockt?“

Im Vater Unser beten wir:
„Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“
Man könnte das Ganze auch umkehren: „Wir vergeben denen, die an uns schuldig geworden sind. So bitten wir auch um Vergebung für eigenes Versagen.“

Dann bleibt nicht nur die Familie zusammen. Dann ist die Zukunft offen.

Amen.